OLG Celle spricht Schadensersatz und Schmerzensgeld für schweren Hirnschaden zu

Keine Klingel im Kreißsaal

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat eine fehlende Klingel im Kreißsaal als groben Behandlungsfehler eingestuft. Ein heute acht Jahre altes, schwer hirngeschädigtes Kind hat damit dem Grunde nach Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen Krankenhaus und Hebamme, so die Richter des OLG. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.

In einem Krankenhaus in Hannover hatte eine Hebamme die Mutter kurz nach einer weitgehend unproblematisch verlaufenen Geburt mit ihrem Baby allein gelassen, um zu „bonden“. Beim sog. Bonding wird das Neugeborene der Mutter auf die Brust gelegt, um durch den Körperkontakt die Bindung zu stärken.

Das Baby erschien der Mutter kurze Zeit später als „zu ruhig“. Sie nahm zunächst an, dass das Kind schläft. Als es sich aber gar nicht regte, versuchte sie Hilfe zu rufen. Aufstehen war ihr nicht möglich und weil es keine Klingel gab, konnte sie niemanden erreichen. Erst etwa 15 Minuten später kam die Hebamme hinzu. Das Kind litt da aber schon unter einer Atemdepression (sog. „Fast-Kindstod“) und erlitt trotz Reanimation eine schwere Hirnschädigung.

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Das Wichtigste in Kürze

OLG Celle, Urteil vom 20.9.2021 – 1 U 32/20

Machen Ärzte, Hebammen oder andere Pflege- oder Behandlungspersonen Fehler und kommt es dadurch zu Schäden, stärkeren Schmerzen oder einer Verschlechterung der Geundheit, kann das zu einem Anspruch auf Kompensation führen. Dafür muss bei besonderes schweren Fehlern nicht einmal zwingend feststehen, dass der Fehler den Schaden verursacht hat. Auch fehlende Sicherheitseinrichtungen – wie hier eine Notfallklingel – können zur Haftung führen.

In Schadensersatzfällen sind häufig mehrere Fragen heiß umkämpft: Sowohl die Frage, ob überhaupt eine Verantwortung für den Schaden besteht, dann aber auch dessen Höhe müssen geklärt werden. Die Gerichte können hier mit einem Teil-Urteil abschichten und erst einmal nur die grundsätzliche Verantwortlichkeit entscheiden. Auch gegen Teil-Urteile kann man mit der Berufung noch einmal die gesamte Beweisaufnahme und mit der Revision Rechtsfragen prüfen lassen.

Ein Neugeborenes erlitt eine Atemdepression, weil für die von der Geburt noch geschwächte Mutter niemand erreichbar war. Die Reanimation nach 15 Minuten konnte zwar das Leben retten, schwere Hirnschäden aber nicht verhindern. Die Eltern fordern nun 300.000 Euro Schmerzensgeld und den Ersatz der sonstigen Schäden. Das OLG Celle stufte es als schweren Behandlungsfehler ein, dass es keine Notfalleinrichtung wie eine einfache Klingel gab.

Behandlungsfehler haben meistens sowohl für die Geschädigten als auch für Pflege- und Behandlungspersonal schreckliche Folgen, die im Gerichtsverfahren nur mit Geld kompensiert werden können. Weil es  in diesen Verfahren oft auf Gutachten und Fachwissen ankommt, sollte man in einem solchen Verfahren Experten mit der Vertretung beauftragen – rufen Sie uns an!

Im Prozess verlangen die Eltern für ihr Kind von Klinik und Hebamme ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro und den Ersatz materieller Schäden. Das Landgericht Hannover hatte in seinem Teil-Urteil der Klage dem Grunde nach stattgegeben, sich aber noch nicht zur Schadenhöhe geäußert.

Die dagegen vom Krankenhaus eingelegte Berufung wies der 1. Zivilsenat des OLG Celle mit Urteil vom 20. September zurück: In der Phase der zweiten Lebensstunde des Babys müsse eine Mutter die Möglichkeit haben, bei Problemen eine Hebamme zu alarmieren, ohne aus ihrem Bett aufzustehen. Sie sei in dieser Phase oft noch nicht in der Lage, selbstständig das Bett zu verlassen, um Hilfe zu holen.
Dass eine solche Alarmierungsmöglichkeit im beklagten Krankenhaus fehlte, sei ein grober Behandlungsfehler, der einem Arzt bzw. einer Hebamme schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Auch wenn nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden könne, dass eine frühere Alarmierung die Hirnschädigung tatsächlich verhindert hätte oder dass diese weniger gravierend ausgefallen wäre, seien Krankenhaus und Hebamme dem Kind zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verpflichtet.

Dieses Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Zwar ließen die Richter am OLG Celle keine Revision zu, weil es nicht um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gehe. Dagegen haben die Beklagten aber Beschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Wird ihr stattgegeben, muss der BGH sich inhaltlich mit der Sache befassen. Wird sie zurückgewiesen, stünde die Haftung des Krankenhauses und der Hebamme endgültig fest. Der Prozess ginge dann an das Landgericht Hannover zurück, wo über die Höhe des zu zahlenden Schmerzensgeldes zu entscheiden wäre.