Landesarbeitsgericht Niedersachsen erkennt Arbeitsunfähigkeit an

Dann bin ich eben krank – nicht immer ein Kündigungsgrund

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

Kündigt ein Arbeitnehmer an, sich krankschreiben lassen zu wollen, obwohl er gar nicht erkrankt ist, ist das grundsätzlich ein wichtiger Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Stellt sich aber heraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig ist, gilt etwas anderes. So hat es das Landesarbeitsgericht Niedersachsen vor kurzem entschieden.

Betretene Gesichter auf Arbeitgeberseite: Nachdem er vor dem Arbeitsgericht gegen einen Mitarbeiter verloren hatte, der sich gegen seine Kündigung wehrte, fuhr der Arbeitgeber in der Berufung alle Geschütze auf und hoffte, mit Unterstützung von Zeugen den Prozess doch noch zu gewinnen. Und dann das: Das Landesarbeitsgericht wies seine Berufung in der mündlichen Verhandlung ohne Zeugenvernehmung zurück.

Was war passiert?

Ein seit mehreren Wochen erkrankter Mitarbeiter, im Betrieb seit gut 20 Jahren tätig, kam am letzten Tag seiner Arbeitsunfähigkeit zum Arbeitgeber und bat für die folgenden Tage um Urlaub. Er wies darauf hin, dass sein Arzt ihn eigentlich weiter krankschreiben wolle, das sei ihm aber unangenehm. Der Arbeitgeber sagte nicht nein, bat den Mitarbeiter aber, einen regulären Urlaubsantrag zu stellen, was der Mitarbeiter tat. Als er zwei Tage später nachfragte, erfuhr er vom Arbeitgeber, dass der Urlaub nicht genehmigt worden sei. Der Mitarbeiter erklärte, dass er sich dann eben rückwirkend krankschreiben lassen würde, was er ebenfalls tat. Der Arbeitgeber sah dies als „Erschleichen“ einer Arbeitsunfähigkeit an, zog das ärztliche Attest in Zweifel und kündigte das Arbeitsverhältnis seines Mitarbeiters.

Das Wichtigste in Kürze

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 11.05.2021 – LAG 9 Sa 699/20

Wer krank ist, weist das dem Arbeitgeber durch „die AU“ nach, den „gelben Schein“, der auch an die Krankenversicherung gehen muss. Diese muss der Arbeitgeber akzeptieren, wenn er keinen Grund für Zweifel hat. Welche Zweifel berechtigt sind, ist immer wieder umstritten. Insbesondere soll dies der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer seine Krankheit ankündigt oder als Druckmittel bei nicht gewährtem Urlaub nutzt.

Das Gericht hat in einem aktuellen Fall eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anerkannt und die Kündigung für unwirksam erklärt, obwohl der Arbeitnehmer angekündigt hatte, sich nachträglich krankschreiben zu lassen, nachdem ihm Urlaub nicht gewährt wurde. Der Hintergrund: Der Arbeitnehmer war wirklich krank und wollte nur seinem Arbeitgeber weniger zur Last fallen. Als dieser die Freundlichkeit nicht erwiderte, hat er die AU-Bescheinigung eingereicht.

Arbeitnehmer:innen sollten darauf achten, dass die AU-Bescheinigungen schlüssig sind und ggf. mehr als nur den „gelben Schein“ bereithalten, wenn es zum Streit kommt. Außerdem sollte man an bEM immer teilnehmen, wenn der Arbeitgeber sie anbietet. Arbeitgeber:innen können aus der Entscheidung Maßstäbe ableiten, wann Zweifel angebracht sein können, aber auch, wann man sich gerade mit einer Kündigung zurückhalten sollte.

Was sagen die Gerichte dazu?

Das Arbeitsgericht hatte der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters stattgegeben. Der Arbeitgeber habe nicht konkret genug vorgetragen, warum der Arzt ein inhaltlich falsches Attest ausgestellt habe. Außerdem sei nicht klar, was der Mitarbeiter wirklich zu wem gesagt habe.

In der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht in Hannover erläuterte der Arzt sein Attest und stellte klar, dass der Mitarbeiter wirklich durchgehend erkrankt war, er sich den „gelben Schein“ also nicht erschlichen hatte. Der Arbeitgeber blieb trotzdem dabei: Erkläre jemand, sich krankschreiben lassen zu wollen, wenn er keinen Urlaub bekomme, sei das ein Kündigungsgrund. Für den Verlauf des Gesprächs, in dem der Mitarbeiter dies geäußert haben soll, bot der Arbeitgeber zwei Zeugen auf.

Die Zeugen konnten jedoch unverrichteter Dinge wieder abreisen: Das Landesarbeitsgericht vernahm sie erst gar nicht, sondern entschied, dass es auf den Inhalt des Gesprächs hier nicht ankomme. Es liege schon kein Kündigungsgrund vor, wenn ein tatsächlich arbeitsunfähiger Mitarbeiter, dessen freiwilliger Urlaubsantrag abgelehnt worden sei, sich daraufhin krankschreiben lasse und das auch so ankündige. Etwas anders gelte nur, wenn sich herausstelle, dass der Mitarbeiter nicht erkrankt sei. Nur dann läge ein Fall des „Erschleichens“ einer AU-Bescheinigung vor.

Ergebnis des Prozesses: Die Kündigung ist unwirksam, der Mitarbeiter kann weiterarbeiten und erhält für die Zeit des Verfahrens seinen kompletten Lohn nachgezahlt. Ein teurer Spaß für den Arbeitgeber, der zuvor ein Vergleichsangebot ablehnte. Das Landesarbeitsgericht hatte vorgeschlagen, dass der Mitarbeiter die Kündigung akzeptiert und dafür eine Abfindung von 60.000,00 € brutto erhält. Das war dem Arbeitgeber zu viel. Unter dem Strich wäre es günstiger gewesen.

Was ist zu tun?

Langfristig oder häufig erkrankte Arbeitnehmer sind der Arbeitgeberseite oft ein Dorn im Auge. Nachgewiesene Erkrankungen sind aber hinzunehmen, Ankündigungen von Krankheitszeiten in diesem Fall kein Grund für eine Kündigung. Das hat das LAG Niedersachsen klargestellt.

Dauert eine Krankheit lange an, hat der Arbeitgeber dem Mitarbeiter ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) anzubieten. Es soll damit versucht werden, einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu finden, um die Ausfallzeiten zu reduzieren. Ohne eine solches bEM-Angebot ist eine krankheitsbedingte Kündigung im Übrigen so gut wie immer unwirksam. Auch das ist mittlerweile Stand der Rechtsprechung.

Auf Seiten der Arbeitnehmerschaft ist zwingend anzuraten, solche bEM-Angebote unbedingt wahrzunehmen. Eine Weigerung kann sonst nämlich doch zu einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung führen.

Ansonsten gilt, was für Arbeitnehmer bei allen Kündigungen zu beachten ist: Mit Zugang einer Kündigung beginnt eine dreiwöchige Frist, Kündigungsschutzklage zu erheben. Wird sie nicht eingehalten, ist die Kündigung wirksam und kann nicht mehr angegriffen werden.

Deshalb: Nach Erhalt einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses möglichst schnell anwaltliche Hilfe suchen. Im rechtskontor49 sind Sie an der richtigen Adresse.