Verkehrszeichen 237 – Radweg

Radweg-Zeichen 237

Situation Sutthauser Straße

Gefährliche Radwege in Osnabrück, Teil 3

von Rechtsanwalt Burkhard Wulftange

Kurz vor dem Jahreswechsel 2021/2022 kam es an der Sutthauser Straße erneut zu einem sog. Dooring-Unfall. Glücklicherweise erlitt der betroffene Radler laut NOZ keine schweren Verletzungen. Gleichwohl bietet auch die dortige Situation Anlass für eine rechtliche Bewertung.

Die Situation z.B. im Bereich zwischen Spichernstraße und Wörthstraße

Rechts neben der jeweiligen Fahrbahn mit einer Fahrspur je Richtung befindet sich ein schmaler Parkstreifen. Rechtsseitig daran anschließend ist ein sog. kombinierter Rad-/Fußweg durch das Verkehrszeichen 241 ausgewiesen. Die linke Seite dieses kombinierten Weges ist mit den klassischen roten Radwegsteinen gepflastert, rechts davon ist der Gehweg in ebenso klassischem grau gehalten. Die Beschilderung stellt klar, dass der links befindliche rot gehaltene Wegteil für Radfahrer bestimmt ist, während der rechte graue Wegteil den Fußgängern vorbehalten bleibt.

Fahrradweg Sutthauser Straße

Das Wichtigste in Kürze

Dooring-Unfall / Benutzungspflicht / Bayerischer VGH, Urteil vom 06.04.2011 – 11 B 08.1892

In Osnabrück kommt es immer wieder zu schweren Fahrradunfällen, gerade wenn Radwege an parkenden Autos vorbeiführen. Von einem „Dooring-Unfall“ spricht man, wenn Radfahrer:innen durch das Öffnen der Autotür in den Fahrtweg des Fahrrades hinein stürzen.

Ein Radweg ist eine Radverkehrsanlage, die sich baulich von der Fahrbahn für den Autoverkehr unterscheidet. Er ist durch das blaue Verkehrszeichen 237 zu erkennen und nur für Radfahrern, die ihn auch benutzen müssen. Das Fahren auf der Straße ist dann untersagt.

An der Sutthauser Straße führt der schmale Fahrradweg an einem Parkstreifen vorbei. Es ist nicht möglich, auf dem Radweg Abstand zu den parkenden Fahrzeugen zu halten, ohne teilweise den Fußgängerweg in Anspruch zu nehmen, wenn man vor dem Öffnen einer Tür ausweichen will.

Der Bayerische VGH hat über die Klage eines Radfahrers abschlägig entschieden, der die Nutzungspflicht eines sehr schmalen Radweges an einer stark befahrenen Straße angreifen wollte. Zu fahren war dort nicht möglich, ohne den Fußgängerweg wenigstens teilweise zu benutzen. Das Gericht entschied aber, dass auch die Mindestbreiten für Fahrradwege nicht eingehalten werden müssen, wenn der Verzicht auf die Benutzungspflicht in der Gesamtabwägung zu gefährlicheren und den (Auto-)Verkehr störenderen Situationen führt.

Nun ist an diesem Abschnitt häufig zu beobachten, dass die parkenden Fahrzeuge ein gutes Stück in den Radweg hineinragen. Aufgrund der geringen Breite des Parkstreifens können nicht einmal kleine schmale PKW dort abgestellt werden, ohne den angrenzenden Fahrradweg zumindest teilweise mitzubenutzen. Der Radweg selbst ist mit einer durchschnittlichen Breite von nur 1,3 m (inklusive Begrenzungslinie) sehr schmal.

RadlerInnen müssten folglich zumindest in „lichter Höhe“ den Gehweg mitbenutzen, um einen von der Rechtsprechung als hinreichend erachteten Abstand zu den parkenden Autos zwecks Vermeidung von Dooring-Unfällen einhalten zu können. Den Gehwegteil dürfen Radler allerdings nicht befahren. Aus der vorhandenen Beschilderung (Zeichen 241) ergibt sich darüber hinaus auch eine Benutzungspflicht, so dass auch die Fahrbahn für Radler tabu ist.  Damit steht Radler:in augenscheinlich vor der Wahl, entweder eine Ordnungswidrigkeit zu begehen, indem man verbotswidrig auf die Fahrbahn oder den Gehweg ausweicht, oder aber zu riskieren, eine Teilschuld bei einem eventuellen Dooring-Unfall aufgebürdet zu bekommen.

Die Rechtslage

Aber ist das wirklich die rechtliche Konsequenz aus der vorhandenen Verkehrssituation? Immerhin gibt es inzwischen eine Verwaltungsvorschrift, die eine Mindestbreite von 1,5 m für Radwege vorschreibt. Selbst wenn also der Radweg an der Sutthauser Straße zu einer Zeit entstanden wäre, in der diese Mindestbreite noch nicht vorgeschrieben war, dürfte er inzwischen möglicherweise nicht  mehr als solcher mit einer entsprechenden Nutzungspflicht ausgewiesen sein? Wäre es dann vielleicht trotz gegenteiliger Beschilderung also gar kein Radweg und die  Stadt Osnabrück eigentlich verpflichtet, die Benutzungspflicht durch Entfernung des Verkehrszeichens 241 aufzuheben?

Nun, ganz so leicht ist dieses Dilemma leider nicht aufzulösen. Das materielle Recht folgt in Fällen wie diesen unmittelbar aus der vorhandenen (formellen) Beschilderung – unabhängig davon, ob diese Beschilderung nun rechtskonform ist oder nicht. Im Ergebnis bedeutet dies: Solange und soweit das Verkehrszeichen 241 vorhanden ist, gilt eine Benutzungspflicht für Radfahrer:innen. Fahrbahn und natürlich auch der Gehweg dürfen daher mit dem Rad nicht befahren werden. Wer dabei erwischt wird, es dennoch zu tun, muss mit einem Bußgeld rechnen. Der Einwand, es habe dort doch gar keine Benutzungspflicht geben dürfen, ist dann völlig irrelevant.

Ist es möglich, die Aufhebung der Benutzungspflicht gerichtlich zu erzwingen ?

Soweit hier bekannt, musste das Bundesverwaltungsgericht diese Streitfrage in  einer  vergleichbaren Konstellation noch nicht entscheiden.  Allerdings oblag dem Bayrischen Verwaltungsgerichtshof im Jahre 2011 einmal eine durchaus vergleichbare Entscheidung (BayVGH, Urteil vom 06.04.2011, Az. 11 B 08.1892).

Der Fall spielte in München und war nahezu identisch mit der Lage an der Sutthauser Straße: Neben der Fahrbahn einer für den Pendelverkehr wichtigen Ein- und Ausfallstraße mit zwei Fahrspuren je Richtung war ein für Radwege viel zu schmaler kombinierte Rad/Gehweg angelegt. Zwar war dort kein Parkstreifen im Spiel, allerdings war der Radweg dort teilweise auch nur gut 70 cm breit, so dass es regelmäßig zu Überfahrungen des Gehweges kommen musste.  Diese Verkehrssituation hat dann ein Radfahrer zum Anlass genommen, die Stadt München zu verpflichten, die Benutzungspflicht für Radler durch Entfernung der Verkehrszeichen 241 aufzuheben.

Um die Entscheidung vorwegzunehmen: Die Klage des Radlers wurde abgewiesen. Überaus interessant ist dabei die Begründung.

Zum einen fühlte sich das Gericht durch die einschlägige Verwaltungsvorschrift zur Mindestbreite von Radwegen in keiner Weise gebunden, da es sich eben nur um eine Verwaltungsvorschrift handelt, die allenfalls eine Behörde binden und von der im Einzelfall abgewichen werden könne (Aus Sicht des Verfassers ist das unsinnig: Wozu überhaupt Mindestbreiten festlegen, wenn sowohl Behörde als auch Gericht diese ignorieren können?). Zum anderen begründete das Gericht seine Entscheidung mit § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, wonach bei besonderer Gefährdungslage auch besondere Maßnahmen durch die Behörde veranlasst werden dürfen, solange die sich daraus ergebenden Einschränkungen für Betroffene zumutbar bleiben.

Konkret: Die Maßnahme, also die Benutzungspflicht für Radler auf einem zu schmalen Kombiweg, müsste für die Betroffenen, also Radler und Fußgänger zumutbarer sein, als den Verkehrsfluss auf der Fahrbahn einzuschränken. Die Umwidmung einer Fahrbahn zu Gunsten der Radfahrer verbot sich schon wegen der immensen Wichtigkeit für den Pendelverkehr. Eine deutliche Geschwindigkeitsbegrenzung für den Autoverkehr verbot sich aus denselben Gründen.

Außerdem sei ja allgemein bekannt, dass sich der Individualverkehr ohnehin nicht immer an Geschwindigkeitsbegrenzungen hält und auch die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände beim Überholen von Radlern längst nicht immer  eingehalten würden, weshalb auch die Nutzung eines viel zu  schmalen Radweges gerade aus Sicht des Radlers für diesen viel sicherer sei.

Zynisch gesprochen: Bevor der Autofahrer sein Ziel mit einem erhöhten Risiko eines Lackschadens etwas später erreicht, können sich besser Radfahrer und Fußgänger gegenseitig über den Haufen fahren/rennen. 

Die Folge für Osnabrück

Ob das VG Osnabrück bzw. das OVG Lüneburg heute in ähnlicher Weise entscheiden würde, kann mit Bestimmtheit niemand sagen. Zudem könnte gegen die Benutzungspflicht an der Sutthauser Straße wohl nur jemand klagen, die oder der dort vor weniger als einem Jahr das erste Mal in seinem Leben das Verkehrsschild gesehen hat.

Fakt aber ist: Solange und soweit die Beschilderung an der Sutthauser Straße nicht verändert wird, besteht eine Benutzungspflicht des ausgewiesenen Radweges, und zwar völlig unabhängig von der Feststellung einer möglichen Mitschuld im Falle eines Dooring-Unfalls. Radlern kann daher an diesen Stellen bis auf Weiteres nur geraten werden, diese zu meiden oder aber den Gehweg schiebender Weise zu nutzen.