Das Bundesverfassungsgericht zum Infektionsschutzgesetz
Impfpflicht für Einrichtungen im Gesundheitswesen nicht verfassungswidrig
von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal
und Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier
Das höchste deutsche Gericht hat am 19.05.2022 seinen lange erwarteten Beschluss zu der in § 20a IfSG geregelten Nachweispflicht für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen – sog. Impfpflicht in Einrichtungen des Gesundheitswesens – veröffentlicht.
Die Vorschrift sei verfassungskonform (BVerfG, Beschluss vom 27.04 2022 – Az. 1 BvR 2649/21).
Worum geht es?
Nach § 20 a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) müssen Personen, die in Einrichtungen des Gesundheitswesens beschäftigt sind, seit dem 15.03.2022 einen Nachweis über eine Impfung gegen Covid19 oder einen Genesenennachweis vorlegen. Andernfalls muss der Arbeitgeber unverzüglich das Gesundheitsamt benachrichtigen. Die Behörde kann dann ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot aussprechen und bei Verstößen Bußgelder verhängen.
Gegen diese Regelung waren mehrere Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig. Über eine Beschwerde mehrerer Personen hat der zuständige erste Senat des BVerfG jetzt endgültig entschieden.
Das Wichtigste in Kürze
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.04 2022 – Az. 1 BvR 2649/21
Impfpflicht im Gesundheitswesen
Nach § 20a IfSG müssen Personen, die in Einrichtungen des Gesundheitswesens beschäftigt sind, seit dem 15.03.2022 einen Nachweis über eine Impfung gegen Covid19 oder einen Genesenennachweis vorlegen. Andernfalls muss der Arbeitgeber unverzüglich das Gesundheitsamt benachrichtigen, das ein Tätigkeitsverbot aussprechen und Bußgelder verhängen kann.
Die Entscheidung des BVerfG
§ 20a IfSG ist nach der Entscheidung mit dem Grundgesetz vereinbar. Zwar sei eine Impfung ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, der aber gerechtfertigt sei durch den Schutz vulnerabler Gruppen vor einer Covid19-Infektion. Der Gesetzgeber dürfe zum Schutz gefährdeter Personen geeignete Maßnahmen treffen.
Was wir kritisieren
Das Bundesverfassungsgericht stellt dem Gesetzgeber wegen der Unberechenbarkeit des Virus eine Art Freibrief aus. Erstaunlich ist dabei, dass die durch Omikron erheblich geänderte Lage nahezu völlig außer Acht bleibt, weil inzwischen auch geimpfte und genesene Personen nicht nur erkranken können, sondern auch zur Verbreitung der Virusvariante beitragen.
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Was sagt das BVerfG?
In einem Eilverfahren hatte das BVerfG im Februar 2022 die Vorschrift zunächst nur vorläufig gebilligt und dabei gerügt, dass die Definition des Impfnachweises mit Verweisung auf Webseiten des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) erheblichen Bedenken begegne. Seit dem 19.03.2022 gibt es dazu aber eine gesetzliche Regelung, weshalb sich dieser Punkt erledigt habe.
Jetzt liegt die Hauptsacheentscheidung vor, in der das BVerfG die Vereinbarkeit des § 20a IfSG mit dem Grundgesetz endgültig feststellt. Zwar sei eine Impfung ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art.2 Abs.2 Satz 1 GG), er sei jedoch gerechtfertigt. Legitimer Zweck der Vorschrift sei der Schutz vulnerabler Gruppen vor einer Covid19-Infektion. Für alte und kranke Menschen bestehe ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder sogar tödlichen Krankheitsverlauf. Der Gesetzgeber sei daher gehalten, zum Schutz dieser Personen geeignete Maßnahmen zu treffen.
Das habe er mit der am 10.12.2021 eingeführten Norm zur Nachweispflicht ab dem 15.03.2022 getan. Zu jenem Zeitpunkt sei eine Impfpflicht im Gesundheitswesen nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich gewesen. Die Politik habe wegen der schwer vorhersehbaren Dynamik einen weiten Beurteilungsspielraum und durfte davon ausgehen, dass keine Mittel zur Verfügung standen, die die Grundrechte der Beschäftigten weniger einschränken, erklärt das BVerfG in seiner Pressemitteilung. Da die Schutzpflicht des Staates durch die vierte Infektionswelle Anfang 2021 besonders aktiviert war, habe der Schutz vulnerabler Gruppen den Vorrang vor einer freien Impfentscheidung gehabt, der Eingriff sei also auch angemessen.
Die mittlerweile dominante Omikron-Variante des Covid19-Virus ändere daran nichts, obwohl Erkrankungen mit Omikron regelmäßig erheblich milder verlaufen als Infektionen mit der früheren Alpha- oder der (bei Verabschiedung des Gesetzes noch vorherrschenden) Delta-Variante. An der höheren Gefährdung der vulnerablen Gruppen habe sich nichts geändert. Nach aktuellen Erkenntnissen – so das BVerfG – sei zudem weiterhin davon auszugehen, dass geimpfte Beschäftigte im Gesundheitswesen einen relevanten Schutz vor einer Infektion auch mit Omikron hätten und das Virus daher weniger weitergäben als Ungeimpfte.
Eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art.12 Abs.1 GG liege nicht vor, meint das BVerfG. Insofern sei zu berücksichtigen, dass das Personal in Heil- und Pflegeberufen eine besondere Verantwortung gegenüber den von ihm betreuten Personen habe.
Kritik und Ausblick
Der Beschluss des BVerfG setzt die bisherige Linie, die der Senat schon bei der „Bundesnotbremse“ verfolgte, konsequent fort. Der Politik wird wegen der Unberechenbarkeit des Virus eine Art Freibrief ausgestellt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes scheint Karlsruhe auch hier nicht vorzunehmen. Die Ausführungen in der Pressemitteilung lassen jedenfalls keine besonders intensive Prüfung dieser eigentlich elementaren Verfassungsgrundsätze durchscheinen.
Erstaunlich ist auch, dass das BVerfG die durch Omikron erheblich geänderte Lage nahezu völlig außer Acht lässt. Dass sich mittlerweile ebenso viele vollständig Geimpfte wie Ungeimpfte nicht nur infizieren, sondern auch ähnlich infektiös und damit gefährlich für vulnerable Personen sind, nimmt der Senat nicht in den Blick.
Was folgt aus der Entscheidung?
In den Einrichtungen des Gesundheitswesens – vom Krankenhaus über die Gemeinschaftspraxis bis zum Pflegedienst – wird es nach dieser Entscheidung vermehrt zu Problemen kommen.
Nicht geimpfte oder genesene Personen, die den erforderlichen Nachweis nicht vorlegen können, sind vom Arbeitgeber beim Gesundheitsamt zu melden. Die Ämter haben freie Hand, die nach Ermessen die Zwangsmittel einzusetzen, die das Infektionsschutzgesetz vorsieht. Pflegedienste, Krankenhäuser und Arztpraxen haben sich also auf Betretungsverbote für ihre ungeimpften Beschäftigten und auf Bußgelder einzustellen, wenn sie diese weiter beschäftigen.
Zwar hatte die Politik in einzelnen Bundesländern angedeutet, ihren Behörden nahelegen zu wollen, wegen drohender Betreuungsengpässe zurückhaltend mit Tätigkeitsverboten zu sein – so z.B. in Bayern. Wie dies nach dem Beschluss des BVerfG weitergeht, bleibt abzuwarten. Aktuell scheint es nach aktuellen Berichten so zu sein, dass die Behörden nach Meldungen erst einmal vorsichtig mit Maßnahmen sind. Dadurch können viele Betriebe ihre Mitarbeiter:innen erst einmal weiterbeschäftigen – aber wie lange?
Wie kann rechtskontor49 helfen?
Es besteht also offenbar Raum und Bedarf für Beratung und kreative Lösungen – denen auch manche Behörde nicht vollkommen unaufgeschlossen gegenüber zu stehen scheint.
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