Oberlandesgericht Celle zur Mängelbeseitigung

Vorschussanspruch des Auftraggebers vor Kündigung des Bauvertrages

von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

Allgemeines zum Bauvertrag

Es mag zunächst kurios anmuten, dass viele Gebäude und Haarschnitte eine Gemeinsamkeit teilen. Der hinter der Leistung stehende Vertragstypus ist stets ein Werkvertrag. Der Werkvertrag i. S. d. § 631 BGB setzt auf Seiten des Auftragnehmers voraus, dass dieser eine Leistung erbringt, die in einem konkreten Erfolg mündet. Das Ergebnis der jeweiligen Leistung ist also beispielsweise die Errichtung eines Gebäudes oder ein konkreter Haarschnitt.

Es liegt auf der Hand – ohne die Leistung von Coiffeurinnen und Coiffeuren schmälern zu wollen –, dass die Errichtung eines Gebäudes regelmäßig ein ganz erhebliches Unterfangen ist und angesichts der Bedeutung eines Bauvorhabens zahlreiche Umstände zu berücksichtigen sind. Ein schlechter Haarschnitt wächst nach und kann nach einiger Zeit korrigiert werden. Ein schlecht errichtetes Gebäude bindet die Bauherrinnen und Bauherren im Zweifel ein ganzes Leben. Es erscheint daher merkwürdig, dass der Gesetzgeber die Durchführung beider Leistungen im Grundsatz den gleichen gesetzlichen Regelungen unterworfen hat.

Dies galt jedenfalls bis zum 01.01.2018, bis das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts (und zur Änderung der kaufmännischen Mängelhaftung) in Kraft trat. In den §§ 650a BGB hat der Gesetzgeber zusätzliche Vorschriften zum allgemeinen Werkvertragsrecht aufgenommen, die spezifisch auf das private Baurecht zugeschnitten sind.

Bereits zuvor hat sich die Baupraxis geholfen, in dem sie eigene Regelwerke auf vertraglicher Ebene zum Inhalt des Bauvertrags gemacht hat. In den Vergabe- und Vertragsordnungen für Bauleistungen (VOB) sind spezifische Regelungen enthalten, die auf die Baupraxis zugeschnitten sind und in Teil B Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen regelt. Dieses Regelwerk wird indessen nur dann zum Inhalt des konkreten Vertrags, wenn eine entsprechende Einbeziehung in den individuellen Vertrag vereinbart wird. Durch die Einbeziehung der VOB/B in den Bauvertrag wird automatisch auch die VOB/C zum Vertragsinhalt. Diese regelt allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen, § 1 Abs. 1 S. 2 VOB/B.

Immobilien Bauen

Das Wichtigste in Kürze

OLG Celle, Urteil vom 11.11.2021 – 6 U 19/21

Der Vertrag über die Errichtung eines Gebäudes ist ein sogenannter Werkvertrag: Der Auftragnehmer (zB. ein Baunternehmen) schuldet den Erfolg, ein Gebäude auf einem Grundstück errichtet zu haben. Bei diesen Verträgen sind spezifische Vorschriften zu beachten, wenn es um den Umgang mit Mängeln geht.

Wenn ein Gebäude mangelhaft errichtet wird, hat der Auftragnehmer Rechte. Die meisten dieser Rechte treten aber erst nach der sogenannten Abnahme des Werkes ein. Problematisch wird es also, wenn schon bei Errichtung Mängel auftreten. Zumeist wird der Bauherr dann einen Wechsel des Unternehmens vornehmen wollen.

Das OLG Celle hat die Möglichkeiten für Bauherren verbessert, indem es nicht zwingend eine vorherige (formgerechte und wirksame) Kündung des Vertrages voraussetzt, um die Kosten einer Mängelbeseitigung vorab einfordern zu können. Wenn der Auftragnehmer deutlich macht, er werde ohnehin nicht tätig, soll dies nicht erforderlich sein.

Als Auftraggeber verschafft Ihnen die Entscheidung ein zusätzliches Mittel, bei schadhafter Arbeit die Mängelbeseitigung effektiv zu erreichen, auch wenn sich das Bauunternehmen stur stellt. Auftragnehmer sollten bei einer Mängelrüge vor der Abnahme des Werkes sorfgältig prüfen, ob diese gerechtfertigt sein könnte, wenn es nicht teuer werden soll.

Hintergrund

Streit entsteht bei Bauvorhaben häufig bei der Frage, ob Mängel vorliegen und wer und wie diese ggfs. zu beheben sind. Das BGB selbst geht dabei davon aus, dass eine Mängelfreiheit im Zeitpunkt der Abnahme vorliegen muss. Mit der Abnahme geht die Beweislast für das Vorliegen von Mängeln auf den Auftraggeber über und die Vergütungspflicht des Auftragnehmers entsteht für die erbrachte Leistung (verkürzte Darstellung), § 641 Abs. 1 S. 1 BGB.  Das bedeutet, dass die Leistung des Bauunternehmers im Zeitpunkt der Abnahme frei von Mängeln sein muss. Es dürfen also insbesondere keine Abweichungen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik/Baukunst vorliegen, die Mängelsymptome nach sich ziehen.

Es gibt jedoch durchaus Konstellationen, in denen bereits im Zeitraum der Leistungsausführung, also weit vor der Abnahme, Baumängel sichtbar werden. Bis zur Abnahme ist der Bauunternehmer auch verpflichtet die Leistung frei von Mängeln zu erbringen. Die Sekundärrechte des Auftraggebers entstehen jedoch erst ab der Abnahme. Nach der Abnahme hat der Bauherr oder die Bauherrin, bei Vorliegen von Mängeln, die Rechte aus § 634 BGB, namentlich die Möglichkeit Nacherfüllung zu verlangen. Schlägt diese unter korrekter Fristsetzung fehl, darf der Mangel selbst beseitigt werden oder beseitigt werden lassen, der Rücktritt vom Vertrag erklärt werden (wobei dies wegen der Verpflichtung zur Rückabwicklung selten praktikabel ist), zu mindern oder Schadenersatz zu verlangen.

Die VOB/B macht für VOB-Bauverträge folgende Vorgaben für Mängel, die bereits im Ausführungszeitraum sichtbar werden:

§ 4 Abs. 7 VOB/B

Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, hat der Auftragnehmer auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen. Hat der Auftragnehmer den Mangel oder die Vertragswidrigkeit zu vertreten, so hat er auch den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, so kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Vertrag kündigen werde (§ 8 Absatz 3).

Die VOB/B setzt in diesem frühen Stadium vor der Abnahme also die Kündigung, unter Einhaltung der Vorgaben des § 8 VOB/B voraus. Im Ergebnis kann der Auftraggeber auch bei einem Verzug des Bauunternehmers mit der Mängelbeseitigung (§ 4 Abs. 7 VOB/B) den Ersatz von Fremdnachbesserungskosten (bspw. durch ein Drittunternehmer) nur verlangen, wenn er den Auftrag zuvor nach § 8 Abs. 3 VOB/B gekündigt hat (BGH BauR 1997, 1027; a. A. OLG Koblenz IBR, 2005, 16). Der Hintergrund ist, dass in diesem Stadium Streitigkeiten zwischen dem alten und neuen Unternehmer vermieden werden sollen. Damit wird bezweckt, dass bei der Bauabwicklung „nichts einander übergehen“ soll (OLG Düsseldorf BauR 1994, 369, 370).

Von diesem „langen Weg“ war der Auftraggeber jedoch nach der alten Rechtslage befreit, wenn der Unternehmer die weitere Leistungsausführung ernsthaft und endgültig verweigert hatte oder die Nacherfüllung durch den beauftragten Unternehmer für den Auftraggeber unzumutbar war.

An dieser Rechtsprechung hält der BGH nicht mehr fest (Werner/Pastor, Der Bauprozess, Rn. 2093). Der Bauunternehmer verliert in diesen Konstellationen zwar sein Nachbesserungsrecht, der Besteller darf jedoch weiterhin Nacherfüllung verlangen. Wenn der Auftraggeber jedoch durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er keine Nacherfüllung mehr verlangt, legt die Rechtsprechung dies wie eine Kündigung aus (BGH BauR 2018, 510).  Nach „Ausspruch“ dieser Kündigung kann der Bauherr oder die Bauherrin vom Bauunternehmer einen Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung verlangen, auch im VOB/B-Vertrag (wenn sich dieser im Stadium des Abrechnungsverhältnisses befindet). Für einen Kostenvorschuss bedarf es daher einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Kündigungserklärung des Bauherren/der Bauherrin.

Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht (ÓLG) Celle hat mit Urteil vom 11.11.2021 – 6 U 19/21 – entschieden, dass bei Mängeln der Leistung des Auftragnehmers vor der Abnahme ein Kostenvorschuss nur verlangt werden kann, sofern der Auftraggeber eines VOB-Bauvertrags den Auftrag zuvor entzogen hat. Das OLG wiederholt damit die Rechtsprechung des BGH aus 2018.

Das OLG hat jedoch ebenfalls entschieden, dass hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn der Auftragnehmer die vertragsgemäße Fertigstellung ernsthaft und endgültig verweigert hat.

Dem Auftraggeber steht jedoch ein Anspruch auf Kostenvorschuss oder auf Ersatz der Fremdnachbesserungskosten auch ohne die Entziehung des Auftrags zu, wenn der Auftragnehmer die vertragsgemäße Fertigstellung ernsthaft und endgültig verweigert.

Damit erweitert das OLG die Rechte von Bauherren und Bauherrinnen, im Stadium vor der Abnahme, wenn das Bauunternehmen sich weigert vorhandene Mängel zu beseitigen.

Auswirkungen

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH wurde in der beschriebenen Konstellation ein Kostenvorschuss nur nach erfolgter Kündigung ermöglicht. Die Parteien waren mit der Kündigung aber weitesgehend „auseinander“.

Neu an der Entscheidung ist, dass die Kündigung nicht mehr zwangsläufig vorausgesetzt wird, um bereits im frühen Stadium einen Kostenvorschuss einklagen zu können.

Für Auftraggeber ergibt sich hieraus die Möglichkeit bereits in einem früheren Stadium des Bauvorhabens eine Mängelbeseitigung zu verlangen, ohne dafür in Vorleistung gehen zu müssen.

Für Auftragnehmer bedeutet die Entscheidung, dass diese besonders darauf achten sollten, wie mit Mängelrügen vor der Abnahme umgegangen wird. Eine Verweigerungshaltung kann hier – sollte die Entscheidung des OLG Bestand haben – schnell teuer werden, wenn sich Mängel bestätigen.