Syrien – noch vor wenigen Jahren der Inbegriff des globalen Krisenherdes. Kaum ein Land hat in den Jahren 2012 bis 2017 so sehr unterschiedlichste Menschen beschäftigt. In den Medien war es still geworden, jetzt taucht das Thema aus unterschiedlichen Gründen wieder auf – oder sollte es zumindest.
- OLG Koblenz verurteilt syrischen Geheimdienstoffizier im weltweit ersten Folterprozess zu lebenslanger Haft
- Heimlich zur Normalität – wie Syriens Machthaber ihre Position festigen
- Syrien wieder auf Platz 1, Ausgang aber unklar – die Lage im Asylverfahren
Im weltweit ersten Prozess gegen syrische Geheimdienstmitarbeiter wegen Foltervorwürfen hat das Oberlandesgericht Koblenz einen Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Oberst soll in einem Gefängnis des Geheimdienstes mit 30-40 Untergebenen für menschenunwürdige Haftbedingungen, Misshandlung und Folter mit erheblichem Einfluss zuständig gewesen sein. Diese Taten können auch in Deutschland verfolgt werden, weil es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, die dem sog. Weltstrafrecht unterliegen, in dessen Rahmen unabhängig vom Tatort Strafverfolgung möglich ist.
Im Verfahren sind über viele Monate tausende Beweismittel gesichtet und dutzende Zeugen vernommen worden – viele von ihnen waren Opfer der Folterungen und sind auch als Nebenkläger aufgetreten. Das Urteil wird als wegweisend kommentiert und soll erhebliche Signalwirkung für weitere noch zu erwartende Verfahren sein: Das OLG Koblenz hat festgehalten, dass es in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 einen systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung durch staatlich angeordnete Folter und Tötungen gegeben hat. Es ist weltweit das erste Gerichtsverfahren, indem dies festgestellt wird.
OLG Koblenz verurteilt syrischen Geheimdienstoffizier wegen Folter
Heimlich zur Normalität
Die Mächtigen Syriens gehen zur Normalität über. Der Bürgerkrieg ist weitgehend konsolidiert, auch wenn Russland neuerdings wieder Luftangriffe fliegt. Die unterschiedlichen Parteien haben sich scheinbar arrangiert und versuchen nun, ihre Machtposition zu festigen.
Bashar Al-Assad knüpft diplomatische Bande zu den umliegenden arabischen Führern wie Mahmoud Abbas und dem König von Jordanien. Außerdem ist er mit Syrien jüngst Chinas „Neuer Seidenstraße“ beigetreten.
In Nordostsyrien richten sich die dortigen Vertreter der kurdischen Interessen in einer Autonomen Selbstverwaltung ein und bemühen sich, nicht zwischen Erdogans Türkei und der Zentralgewalt im Süden zerrieben zu werden. Sie verfügen aber über einen Großteil der wenigen Ölvorkommen Syriens.
Abu Mohammed Al-Golani beherrscht als starker Mann die Region Idlib. Der Anführer der Miliz Hayat Tahrir al-Sham, die einst als al-Nusra-Miliz bekannt war und als radikalerer Zweig aus al-Qaida hervorgegangen ist, wird aus der Türkei und Qatar unterstützt und gilt bereits als unumgänglicher Ansprechpartner, wenn es um Belange des Gebietes an der türkischen Grenze geht.
Gleichzeitig leben Binnenvertriebene in antiken Ruinenstätten und das Regime Assad betätigt sich bei internationalen Hilfsorganisationen als Wegelagerer – letztlich doch alles beim alten!
Auch in Deutschland ist Syrien wieder Thema – jedenfalls beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Denn von rund 148.000 Erstanträgen auf Schutzgewährung sind ca. 70.000 von syrischen Staatsangehörigen gestellt worden. Damit führt Syrien die Liste der häufigsten Herkunftsländer wieder an.
Zugleich ist eine wichtige Frage noch immer nich abschließend geklärt: Steht Männern aus Syrien, die sich mit ihrer Flucht der Einziehung zum Militär entzogen haben, die Flüchtlingseigenschaft zu, weil sie in Syrien aus politischen Gründen verfolgt würden? Oder genügt der einfachere Schutz vor den allgemeinen Kriegsgefahren durch den sog. subsidiären Schutz?
Am 19.11.2020 hatte der Europäische Gerichtsthof (Az. C-238/19) festgehalten, dass eine „starke Vermutung“ für eine Verknüpfung zwischen den nachteiligen Folgen einer Einziehung zum Militär und der Flucht bestehe. Man sollte meinen, dass damit die Diskussionen in Deutschland beendet sind. Das Gegenteil jedoch ist der Fall: Die Oberverwaltungsgerichte zB. in Niedersachsen und NRW bleiben bei ihrer Auffassung, dass der Flüchtlingsschutz Wehrdienstverweigerern nicht zuzuerkennen ist. Das OVG Berlin-Brandenburg hingegen hat dies anders gesehen – mit der Folge, dass das Bundesverwaltungsgericht die Revisionen des BAMF zugelassen hat.
Es muss sich nun zeigen, wie sich das höchste deutsche Verwaltugsgericht positioniert. Dabei sollten die weiteren geschilderten Entwicklungen unbedingt eine Rolle spielen!