von Rechtsanwalt Burkhard Wulftange

 

Ein aktueller Vorschlag aus Teilen der Lokalpolitik der Stadt Osnabrück sieht vor, die Windthorststraße in Osnabrück zwischen der Kreuzung Weberstraße und dem Ortsausgang zu einer Fahrradstraße zu machen. Die aktuelle rot–grün–violette Ratsmehrheit steht der Umgestaltung der Windthorststraße zur Fahrradstraße allerdings eher kritisch gegenüber und hat sich erst einmal gegen eine kurzfristige Umsetzung entschieden.

Diese Debatte bietet Anlass dazu, sich auch aus juristischer Sicht mit Fahrradstraßen auseinanderzusetzen und die Argumente für oder gegen die Umwidmung der Windthorststraße zur Fahrradstraße näher zu beleuchten

Juristische Einordnung: Echte und unechte Fahrradstraße

Fahrradstraßen sind zunächst einmal Straßen, die Radfahrern durch bestimmte Einschränkungen des sonstigen Verkehrs einen besonderen Schutz bieten sollen. Nach § 43 Abs. 1 StVO in Verbindung mit dem Anhang 2 Nr. 23 dürfen nur Radfahrer, sowie Elektrokleinstfahrzeuge die Straße benutzen und Radfahrer erhalten das Privileg Nebeneinander zu fahren. Dies stellt den Fall einer echten Fahrradstraße dar. Die Windhorststraße soll entsprechend dem Vorschlag von CDU und BOB allerdings eine sog. unechte Fahrradstraße werden, in der weiterhin Kraftfahrzeuge zugelassen sein sollen. Dieser Verkehr darf ausnahmsweise durch die Anordnung entsprechender Zusatzzeichen zugelassen werden (z. B. Anliegerverkehr oder Kraftfahrzeugverkehr frei). Die Kraftfahrer dürfen sich dann mit einer maximalen Geschwindigkeit von 30 km/h fortbewegen und müssen sich an schmalen Stellen an das Tempo der Fahrradfahrer anpassen, wenn diese nicht sicher überholt werden können.

Eine Fahrradstraße wird dabei begründet durch die Aufstellung des Verkehrszeichens Nr. 244.1, dessen Abbildung im Anhang 2 Nr. 23 StVO zu finden ist. Dieses Verkehrszeichen darf aber nur aufgestellt werden, wenn es aufgrund der Umstände vor Ort unbedingt erforderlich ist, § 45 Abs. 1 und Abs.9 StVO. Wie aber ist das Kriterium der Erforderlichkeit zu deuten? Das VG Berlin hat 05.12.2018 in einem Urteil (Az: 11 K 298.17) ausgeführt, dass eine Fahrradstraße erforderlich sei, wenn eine nur geringe Fahrbahnbreite vom 4,60 m vorliege, da hier die allgemeinen Verkehrsregeln, sowie das Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 1 StVO nicht ausreichend seien, um einen Fahrradfahrer zu schützen. Das VG Leipzig verweis auf § 45 Abs.9 S.2 StVO und sieht eine Beschränkung des Verkehrs im Sinne einer Fahrradstraße als erforderlich an, wenn ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer nicht in der Lage ist eine Gefahrensituation zu erkennen (VG Leipzig, BeckRS 2021, 43829, Rn. 29). Die Erforderlichkeit einer Fahrradstraße entfällt dann, wenn die mit der Anordnung derselbigen bezweckten Wirkungen, auch aufgrund der allgemeinen [z.B. § 1 Abs. 1 StVO] und besonderen Verhaltensregeln erreicht werden können (BVerwG vom 01.09.2017, 3 B 50/16). Letzten Endes bleibt es dabei, dass anhand dieser Kriterien eine Prüfung der Sachlage im Einzelfall zu erfolgen hat.

Wird nach Ansicht der Behörde eine Fahrradstraße für erforderlich gehalten, hat sie ein sogenanntes Ermessen, ob sie eine echte oder unechte Fahrradstraße anordnen möchte. Im Ermessen, welches inhaltlich einer Abwägung der Gesamtsituation entspricht, sind Verwaltungsvorschriften der VwV-StVO 2021 zu den Zeichen 244.1 und 244.2 zu berücksichtigen. Es muss eine hohe Anzahl an Fahrrädern die Straße benutzten und die Straße muss für den übrigen Fahrzeugverkehr eine eher untergeordnete Bedeutung haben. Gleichzeitig müssen die Interessen des Fahrzeugverkehrs berücksichtigt werden.

Soweit zur rechtlichen Einordnung.

Für und Wider einer unechten Windthorst-Fahrradstraße

Welchen tatsächlichen Nutzen und Mehrwert ergäbe sich daraus dann ganz konkret für Radfahrer, wenn die Windthorststraße zu einer unechten Fahrradstraße werden sollte? Die grundsätzlichen Vorteile einer Fahrradstraße sind nicht von der Hand zu weisen, schließlich räumen sie den Fahrradfahrern zumindest in der Theorie eine erhöhte Sichtbarkeit und Sicherheit im Straßenverkehr ein. Doch kann die Einrichtung der Windthorstsraße zur unechten Fahrradstraße geeignet sein, die Situation für Fahrradfahrer auch in der Praxis verbessern? Die Gefährdungen entstehen an der Windthorststraße jedenfalls nicht vorrangig durch waghalsige Überholmanöver von Autofahrern im Rahmen des Durchgangsverkehrs. Das Problem ist vielmehr die enge Parkplatzsituation, die durch die sogenannten „Elterntaxis“ vor den Schulen und Kindergärten in der Straße ausgelöst wird. Die größte Gefahr für Radfahrer ergibt sich dabei aus Wendemanövern und mehr oder weniger straßenverkehrsgerechten Versuchen, einen Parkplatz zu ergattern, bei denen Fahrradfahrer (und auch Fußgänger) übersehen werden.

Darüber hinaus zeigt die Erfahrung mit der Umwidmung der Lyrastraße in Osnabrück zur unechten Fahrradstraße keine durchgreifende Verbesserung der Sicherheit für Radfahrende. Dort ist jedenfalls zu den Stoßzeiten keine besondere Rücksichtnahme gegenüber Radfahrenden festzustellen. Auch als Radfahrender ist man dort im Blechstau gefangen oder wird durch unzulässige Überholmanöver gefährdet. Entsprechend wenig Veränderung ist daher auch an der Windthorststraße zu erwarten. Auch dort wird allein die Einrichtung einer unechten Fahrradstraße kaum dazu führen, das Verhalten der Elterntaxis nachhaltig zu verbessern.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass es zwar absolut lobenswert ist, über Verbesserungen der Sicherheit der Radfahrer auch und vor allem an der Windthorststraße nachzudenken. Ob allerdings die Einrichtung einer unechten Fahrradstraße geeignet ist, die gewünschte Verbesserung zu erreichen, darf daher bezweifelt werden. Möglicherweise wären aber mehr Eltern bereit, auf ihre Taxidienste zu verzichten, wenn ihren Kindern ein wirklich sicherer Schulweg zu Fuß oder auch mit dem Rad auf dem Weg zur Schule zur Verfügung stehen würde, und zwar auf der gesamten Wegstrecke und nicht nur auf den letzten 500 Metern.