LAG Düsseldorf bestätigt Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung nach „Mitnahme“ von Desinfektionsmittel durch Arbeitnehmer trotz langer Betriebszugehörigkeit und verhältnismäßig geringem Schaden

(von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier)

 

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 14.01.2021 (Az.: 5 Sa 483/20) das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach (Urteil vom 01.07.2020 – 6 Ca 632/20) bestätigt und die außerordentliche fristlose Kündigung eines Arbeitgebers als wirksam angesehen und die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Dabei stellt das Landesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung klar (das Urteil im Volltext lag im Zeitpunkt dieses Kommentars noch nicht vor), dass weder die lange Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers (in diesem Fall bestand das Arbeitsverhältnis seit 2004), noch der Wert des entwendeten Gegenstandes (ein Liter Desinfektionsmittel im Wert von ca. 40 EUR, sowie eine Papierhandtuchrolle) dazu führen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung hätte abmahnen müssen.

Das Gericht bestätigt damit Grundsätze, die schon länger gelten. Strafbare Handlungen eines Arbeitnehmers rechtfertigen regelmäßig die außerordentliche Kündigung, ohne dass es zuvor einer Abmahnung bedarf. Einschränkende Voraussetzung ist jedoch, dass die strafbare Handlung des Arbeitnehmers einen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweist. Fehlt es an dieser Voraussetzung kommt eine außerordentliche Kündigung im Regelfall erst dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Straftat seine (arbeits-)vertraglichen Pflichten nicht mehr erfüllen kann. Auch das Bundesarbeitsgericht hat bereits früh darauf hingewiesen, dass Diebstähle zulasten des Arbeitgebers regelmäßig eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG Urt. v. 17.05.1984 – 2 AZR 3/83). Dem lag ein Sachverhalt zugrunde, wonach eine Verkäuferin ein Stück Bienenstich im Wert von 60 Pfennig verzehrte. Das Bundesarbeitsgericht hielt die ausgesprochene fristlose Kündigung des Arbeitgebers für wirksam. Das BAG unterstreicht jedoch in neueren Entscheidungen, dass stets alle konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind und anhand einer umfassenden Prüfung (einschließlich Interessenabwägung) zu ermitteln ist, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Vertrauensstörung – wenigstens bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – zumutbar ist. Das BAG weist darauf hin, dass dem Gesetz – auch im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen (wie etwa einem Diebstahl) keine absoluten Kündigungsgründe zu entnehmen sind (BAG Urt. v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09). Die Wirksamkeit der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung erfolgt dabei stets in zwei Schritten. Zunächst ist zu prüfen, ob das Fehlverhalten grundsätzlich einen wichtigen, zur fristlosen Kündigung berechtigenden Grund darstellt. Dies ist nach der Rechtsprechung bei strafbaren Verhaltensweisen zulasten des Arbeitgebers stets der Fall. In einem weiteren Schritt wird dann eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen. Dabei hat das BAG auch bereits vor der auch medial ausgiebig diskutierten „Emily-Entscheidung“ darauf hingewiesen, dass die Betriebszugehörigkeit oder der Wert des verursachten Schadens im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden können. Dies jedoch nur für die Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. (BAG Urt. v. 11.12.2003 – 2 AZR 36/03).

In dem nun entschiedenen Fall wurde einem bei einem Paketzustellunternehmen seit dem Jahr 2004 angestellten Be- und Entlader, der auch für die Fahrzeugwäsche verantwortlich war, außerordentlich fristlos gekündigt. Im März 2020 wurde der Arbeitnehmer bei der stichprobenartig durchgeführten Kontrolle des Wachschutzes mit einer ungeöffneten Plastikflasche Desinfektionsmittel und einer Handtuchrolle angetroffen, die er in seinem Kofferraum verstaut hatte. Daraufhin kündigte das Unternehmen nach Anhörung des Betriebsrats und dessen Zustimmung das Arbeitsverhältnis außerordentlich, fristlos. Der Arbeitnehmer erhob hiergegen Kündigungsschutzklage. Der Arbeitnehmer verteidigte sich damit, dass er sich während der der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben habe, um seine Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Das Mittel habe er für sich und seine Kollegen verwenden wollen. Als er nach Feierabend nach Hause gefahren sei, habe er an die Gegenstände in seinem Kofferraum nicht mehr gedacht. Das LAG Düsseldorf folgte dieser Einlassung im Ergebnis nicht. Für das Gericht war nicht nachvollziehbar, weshalb der Arbeitnehmer das Desinfektionsmittel in seinem Kofferraum lagerte, statt es auf dem Materialwagen am konkreten Arbeitsplatz vorzuhalten. Der gekündigte Arbeitnehmer habe seinen Kollegen nicht mitgeteilt, wo sie das von ihm gelagerte Desinfektionsmittel auffinden könnten und ihnen nicht die Schlüssel zu seinem Auto gegeben. Gegen die Ausführungen des Arbeitnehmers sprach auch der Umstand, dass die Flasche mit dem Desinfektionsmittel nicht angebrochen war, als er das Betriebsgelände verlassen wollte.

Das LAG unterstreicht, dass trotz der langen Betriebszugehörigkeit eine vorherige Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung nicht erforderlich war. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass der Arbeitnehmer in einer Pandemiezeit, in der Desinfektionsmittel nicht in ausreichendem Maße verfügbar war und in Kenntnis des Umstandes, dass der Arbeitgeber ebenfalls mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, den Diebstahl beging, womit der Arbeitnehmer in Kauf nahm, dass seine Kollegen „leer ausgehen könnten“.

Das Urteil zeigt an einem aktuellen Beispiel, dass auch und gerade in der aktuellen Pandemiezeit arbeitsrechtliche Grundsätze uneingeschränkt weiter Geltung beanspruchen. Unabhängig vom Wert des entwendeten Gegenstandes und unabhängig von der Länge der Betriebszugehörigkeit, kann eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein. In der Pandemiesituation gewinnen diese Grundsätze, im Hinblick auf Kurzarbeit und den Verdienstausfall – sowohl auf Arbeitnehmer als auch auf Arbeitgeberseite – besondere Bedeutung. Die Einzelfallbetrachtung einer jeden Kündigung verbietet letztendlich pauschale Aussagen.

Aufgrund der (erforderlich gewordenen kurzfristigen) Reaktion der Arbeitgeber zu Beginn der Pandemie wird es auch darauf ankommen, wie die Bereitstellung von Desinfektionsmittel gegenüber den Arbeitnehmern kommuniziert worden ist. Sofern der Arbeitgeber bspw. kleine Fläschchen an jeden Arbeitnehmer verteilt und bei der Vergabe suggeriert diese seien zur freien Verwendung – also gerade nicht betriebsbezogen – verteilt worden, kann der oben beschriebene Fall grundsätzlich anders zu beurteilen sein.

 

(Kommentar zum Urteil des LAG Düsseldorf vom 14.01.2021 – 5 Sa 483/20)