Verwaltungsgericht Osnabrück fällt erste Urteile über Asylverfahren betreffend Afghanistan in 2022.

Im Oktober 2021 haben wir in der ersten Ausgabe des „Fokus Migrationsrecht“ unter anderem über die Entwicklung in Afghanistan berichtet. Das Land kommt auch nach der Machtübernahme im August 2021 nicht zur Ruhe. Während die Taliban ihre Macht festigen, schwinden die Rechte der Menschen, gerade von Frauen, beständig. Zudem kommen Streitigkeiten unter den radikalen Islamisten auf: Der immer wieder mit den Taliban um die Vorherrschaft ringende sogenannte „Islamische Staat“ (IS bzw. DAESH) will sich in Afghanistan ebenfalls eine neue Basis schaffen und den eigenen Einfluss ausbauen. Die Folge des Machtkampfes sind schreckliche Anschläge auf Moscheen in Masar-i-Sharif und in Kabul und nördlich von Kundus sowie eine Schule in der Hauptstadt allein in den letzten Tagen mit über 60 Toten und zahlreichen Verletzten.

Denoch vermag das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) diese neue Sachlage bis heute kaum abschließend zu bewerten und in entsprechende neue Entscheidungen umzusetzen. Auch die Verwaltungsgerichte haben zunächst die unübersichtliche Lage in Afghanistan zum Anlass genommen, laufende Verfahren nicht zu entscheiden. Inzwischen hat sich aber auch das Verwaltungsgericht Osnabrück erstmals nach der Machtübernahme durch die Taliban in mehreren Entscheidungen nach mündlichen Verhandlungen am Montag, 25.4.2022, geäußert und damit seine grundsätzliche Haltung zu diesem Thema öffentlich gemacht.

In einem von Rechtsanwalt Burkhard Wulftange geführten Klageverfahren gegen eine ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat das Verwaltungsgericht Osnabrück für einen erwachsenen Mann aus Afghanistan nun Abschiebungsverbote festgestellt. In einem durch Rechtsanwalt Henning J. Bahr geführten Verfahren um einen sogenannten Asylfolgeantrag (also nach einem zuvor bereits negativ ausgegangenen Verfahren) aus dem Jahr 2020 hatte das BAMF eine erneute Prüfung vollständig abgelehnt. Diesen Bescheid hat das Gericht aufgehoben und die Angelegenheit damit an die Behörde zurückgegeben. Es hat festgehalten, dass die veränderte Lage eine vollständige Neubewertung dessen, was der Kläger vorträgt, erforderlich ist.

Das Gericht hat damit endgültig seine in den letzten Jahren überaus harte Rechtsprechung bezüglich der Schutzbedürftigkeit erwachsener Männer aus Afghanistan zu Recht geändert. Nach der Machtübernahme der Taliban in dem asiatischen Land kann niemand mehr ernsthaft davon ausgehen, dass dort ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Die Lage war dort zuvor schon katastrophal. Seit Jahren wurde Familien mit Kindern und auch alleinstehenden Frauen regelmäßig Schutz gewährt. Nun ist praktisch bundesweit anerkannt, dass man in ein Land, das von Armut, Pandemie und jahrzehntelangem Krieg gebeutelt ist und nun auch noch von religiösen Fanatikern kontrolliert wird, niemanden mehr abschieben kann, wenn man das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ernst nimmt.

Denn § 60 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) verbietet es, Menschen durch eine Abschiebung in die Gefahr einer solchen Behandlung zu versetzen.

Nachdenklich stimmen muss allerdings, dass auch noch wenige Wochen vor der Übernahme der Regierung durch die Taliban Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden, deren Schicksal vollkommen ungewiss ist.