von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Karlruhe hat gesprochen: Wenn Behandlungsmethoden noch nicht hinreichend klinisch erprobt sind, gelten besonders strenge Anforderungen an die Patientenaufklärung. Man spricht in diesem Fall von einer Neulandmethode. Diese anzuwenden stellt nicht automatisch einen Behandlungsfehler dar. Aber der der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 18.05.2021 (VI ZR 401/19) klargestellt, worüber Patient:innen aufgeklärt werden müssen.

Worum ging es?

Einem Patienten wurde im Jahr 2011 eine neuartige Bandscheibenendoprothese aus Kunststoff implantiert. Dieses Produkt hatte zwar schon eine CE-Zertifizierung, es gab zu ihr es aber noch keine längerfristigen klinischen Studien.

Kurz nach der Operation des Klägers begann der Hersteller, eine Rückrufaktion durchzuführen. Bis 2014 rief er alle Prothesen dieses Typs zurück. Es war wiederholt zu Brüchen und Auflösungen an den Prothesen gekommen.
So auch beim Kläger in unserem Fall. 2014 traten bei ihm Schmerzen auf. Es wurde festgestellt, dass Teile des Prothesenkerns in den Spinalkanal gewandert waren. Die Prothese wurde operativ entfernt, durch einen Cage ersetzt und die Wirbelsegmente fixiert.

Der Hersteller der Prothese meldete Insolvenz an. Bei ihm war also nichts zu holen. Der Patient verklagte die Klinik und deren Behandler, die ihm die Bandscheibenendoprothese eingesetzt hatten. Er begründete dies damit, dass er nicht ordnungsgemäß über die Risiken dieser Neulandmethode aufgeklärt worden sei. Außerdem hätten die Operateure vor dem Eingriff schon Kenntnis von einer Information des Herstellers gehabt, mit der über Probleme mit dem Produkt berichtet wurde; es sei also auch behandlungsfehlerhaft gewesen, ihm die Prothese zu implantieren.

Was sagt der BGH?

Das höchste Zivilgericht des Landes hat schon mehrfach die Kriterien einer ordnungsgemäßen Aufklärung bei noch nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethoden definiert. In seiner neuesten Entscheidung stellt es das Selbstbestimmungsrecht der Patienten erneut in den Mittelpunkt. Es sei auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff noch kein medizinischer Standard sei. Dabei müsse unmissverständlich verdeutlicht werden, dass die neue Methode unbekannte Risiken birgt, so der für Arzthaftung zuständige Senat des BGH. Der Patient müsse sorgfältig abwägen können, ob er sich lieber einer Standard-Methode mit den bekannten Risiken oder aber einer neuen Methode mit noch unbekannten Risiken unterziehen möchte.

Eine solche Risiko-Aufklärung hatten die Behandler im Fall des Patienten versäumt. Er berief sich deshalb darauf, dass der Eingriff mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrig war und er dafür zu entschädigen sei.
Die Behandler behaupteten allerdings, der Patient wäre auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung mit der Operation einverstanden gewesen, wendeten also eine sog. „hypothetische Einwilligung“ ein. Das ist ein Einwand, mit dem eine missbräuchliche Berufung auf eine unzureichende Aufklärung nur zu Haftungszwecken unterbunden werden soll.

Anders als die Vorgerichte (LG Aurich, OLG Oldenburg) hielt der BGH diesen Einwand der Behandler aber für unerheblich. Landgericht und Oberlandesgericht hatten dem Patienten abgesprochen, bei vollständiger Aufklärung zumindest in einen Entscheidungskonflikt geraten zu sein.

Dem folgte der BGH nicht: Da dem Patienten vor der Operation nicht einmal mitgeteilt worden sei, dass es sich um eine Neulandmethode handelt, und da er bis zu seiner Anhörung im Prozess auch keine Information dazu erhalten hatte, worüber er aufzuklären gewesen wäre, seien seine Angaben großzügig zu bewerten. Wenn er in einem solchen Fall erklärt, sich nicht sicher gewesen zu sein, wofür er sich bei einer vollständigen Aufklärung entschieden hätte, dürfe nicht von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen werden.

Auch bei der Frage der Sorgfaltspflicht bei der Anwendung der neuen Bandscheibenprothese stellten sich die Karlsruher Richter auf die Seite des Patienten: Er hatte ein Schreiben des Herstellers aus dem Jahr 2014 vorgelegt, aus dem hervorging, dass die ersten Informationen über Probleme mit der Prothese bereits 2010 veröffentlicht wurden. Es sei deshalb Sache der Behandler darzulegen, seit wann sie Kenntnis davon hatten, so der BGH. Die Behauptung des Klägers, das sei zum Zeitpunkt seiner Operation im Jahr 2011 schon der Fall gewesen, hätten Klinik und Ärzte zu entkräften, ansonsten gelte sie als zugestanden. Deshalb hätten LG / OLG dem Antrag des Klägers auf Vernehmung des verantwortlichen Arztes zu dieser Frage nachkommen müssen. Das hatten sie abgelehnt und die Klage abgewiesen. Nun hat das OLG Oldenburg die Vernehmung nachzuholen, der BGH hat den Fall nämlich zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.

Fazit

Mit seinem Urteil stärkt der BGH die Patientenrechte. In der Arzthaftung erkennt er Sonderregeln zur Beweislast und auch zur Darlegungslast an. An den Vortrag eines Patienten im Klageverfahren dürfen nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, weil er regelmäßig weder die exakten Behandlungsabläufe kennen noch dasselbe medizinische Wissen aufbringen kann wie die Behandlerseite. Nur so ist eine Art „Waffengleichheit“ und damit auch ein faires Gerichtsverfahren gewährleistet. Dabei handelt es sich immerhin ein verfassungsrechtliches Gebot.

Was können Sie tun?

Sollte Ihnen als Patient*in empfohlen werden, sich einer neuartigen Behandlungsmethode zu unterziehen, verlangen Sie unbedingt eine vollständige Aufklärung über alle bislang bekannten und vor allem auch eventuell noch unbekannten Risiken. Natürlich können die Behandelnden hier mangels Vorliegens von Risiko-Studien nur mutmaßen, wo es Probleme geben könnte, aber gerade das muss seitens der Ärzteschaft klar und eindeutig kommuniziert werden.

Und wenn es schon zu spät ist?

Dann melden Sie sich bei uns. Rechtsanwalt Laue-Ogal, unser Fachanwalt für Medizinrecht, kümmert sich um Ihren Fall und zeigt Ihnen auf, welche Schritte möglich und erfolgversprechend sind. Der Fall des Patienten vor dem BGH wird nicht der letzte seiner Art gewesen sein.