EU-Initiative gegen SLAPPs

Meinungsfreiheit vor Finanzkraft schützen

von Rechtsanwalt Tiemo Wölken, MdEP

Ein kritischer Blog-Beitrag, ein harscher Tweet, ein offener Brief an die Regierung, das Verbildlichen von öffentlich zugänglichen Informationen auf Google Maps oder das Veröffentlichen von Artikeln nach intensiver Recherche. All diese Dinge klingen nach harmlosen Tätigkeiten, wie sie Tag für Tag millionenfach vorgenommen werden. Allerdings können diese simplen Handlungen auch dramatische Folgen haben. Immer mehr Journalistinnen und Journalisten, NGOs und Aktivistinnen und Aktivisten sehen sich Klagen ausgesetzt, alleine weil sie öffentlich Kritik üben, Skandale ans Licht bringen oder schlicht ihren Job machen. Dabei geht es bei diesen Klagen nicht darum, sich rechtmäßig zu verteidigen, sondern mächtige Einzelpersonen und Organisationen führen diese strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung der Beklagten.

Unsere Gerichte, die zum Schutz berechtigter Interessen geschaffen wurden, werden vermehrt von eben diesen mächtigen Einzelpersonen und Organisationen für strategische Klagen missbraucht. Für diese Klagen hat sich der Begriff der SLAPP-Klagen durchgesetzt, der leider allzu passend ist. Diese Strategic Lawsuits Against Public Participation sind ein sprichwörtlicher Schlag ins Gesicht der Beklagten.

Das Wichtigste in Kürze

Tiemo Wölken, SLAPP und die EU-Initiative

Rechtsanwalt Tiemo Wölken, LL.M., hat seine Kanzlei im Haus am Wall und ist Kooperationspartner der Fachkanzlei rechtskontor49. Den Wahlbezirk Weser-Ems vertritt er als Mitglied der SPD im Europäischen Parlament. Mehr erfahren Sie auf seiner Webseite in seinem Lebenslauf.

Dieser Beitrag beruht auf der Rede im EU-Parlament vom 11.11.2021.

Strategic Lawsuits Against Public Participation bezeichnen Klagen gegen unliebsame Berichte und Meinungsäußerungen, die nicht geführt werden, um zu gewinnen, sondern um Gegner in aufwendige Verfahren zu zwingen, die langwierig, teuer und zermürbend sind. Häufig genug werden diese Klagen zudem in anderen Ländern geführt, in deren Rechtsordnung sich die Opfer nicht auskennen und es so noch schwieriger wird, sich zu verteidigen.

Der gewöhnliche Aufenthaltsort soll entscheidend für das zuständige Gericht sein. Geht es um Medienberichte, wird der Ort einer Veröffentlichung und hilfsweise der Ort der Redaktion herangezogen.

Auf EU-Ebene es einheitliche Definition von SLAPP-Klagen geschaffen werden. Dabei soll die klagende Partei nachweisen, dass es sich nicht um eine missbräuchliche Klage handelt. Gelingt dieser Beweis nicht, soll das Gericht die Klage zu einem sehr frühen Zeitpunkt abweisen können. Schließlich soll es nicht möglich sein, in der gleichen Sache mehrere Verfahren gegen Äußerung oder Veröffentlichung zu führen.

Das EU-Parlament fordert außerdem einen Fonds zur Unterstützung bei Rechtsberatungskosten und durch psychologische Unterstützung. Außerdem sollen Beschwerdestellen geschaffen werden für Personen, die mit SLAPP-Klagen konfrontiert sind. Ein EU-weites SLAPP-Klagen-Register soll für einen besseren Überblick sorgen. Außerdem sollen Juristinnen und Juristen aller Bereiche über SLAPP-Klagen informiert werden.

Sie sind Journalistin oder Journalist und werden aufgefordert, Recherchen zu unterlassen oder nicht zu veröffentlichen? Sie engagieren sich politisch und werden mit Klagedrohungen unter Druck gesetzt? Oder gibt es Behauptungen, Berichte oder Beiträge über Sie und Sie möchten wissen, wie man gegen diese vorgeht, ohne in den SLAPP-Verdacht zu geraten?

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Tatsächlich sind diese Klagen kein seltenes Problem. Im Gegenteil, SLAPP-Klagen werden in der gesamten EU eingesetzt. Die Europäische Kommission hat diese Klagen sogar in ihrem Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2021 (S. 23) explizit erwähnt.  SLAPP-Klagen sind nachweislich eine zunehmend verbreitete Praxis. Nur einige Beispiel aus einer erschreckend langen Liste seien hier genannt:

  • Das schwedische Medienunternehmen Realtid Media wurde infolge von Berichterstattungen wiederholt mit Klagen bedroht.
  • Die zweitgrößte überregionale polnische Tageszeitung Gazeta Wyoborcza  sieht sich nach wie vor regelmäßigen Klagen von einer Reihe von öffentlichen Einrichtungen und Beamten ausgesetzt.
  • Die polnischen Aktivistinnen und Aktivsten vom Atlas of Hate werden zurzeit von gleich mehreren lokalen Regierungen vor Gericht gezerrt.
  • In Hessen sehen sich Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, immer häufiger Klagen ausgesetzt. Dort versucht die SPD-Politikerin Sabine Waschke ebenfalls das Problem durch eine Initiative anzugehen.

Doch was haben all diese Fälle gemeinsam? Erstens, Opfer von SLAPP-Klagen machen schlichtweg ihren Job. Sie veröffentlichen unbequeme Fakten und schaffen kritische Öffentlichkeit. Zweitens, die Klagenden wollen die Beklagten gar nicht besiegen. Es geht nicht darum, den Fall am Ende zu gewinnen. Das Verfahren wird nur eingeleitet, um die Beklagten in aufwendige Verfahren zu zwingen, die langwierig, teuer und zermürbend sind. Die missbräuchlich Beklagten werden ausgelaugt und andere Kritikerinnen und Kritiker werden abgeschreckt (chilling effect). Häufig genug werden die Klagen zudem in fremden Ländern geführt, in deren Rechtsordnung sich die Opfer nicht auskennen und es so noch schwieriger wird, sich zu verteidigen. Dieser Klagetourismus ist der perfide Gipfel der strategischen Klageführung.

Doch damit nicht genug: SLAPP-Klagen haben nicht nur Auswirkungen für die Beklagten, sondern auch auf deren Angehörigen. Ein bekannter Fall ist der, der ermordeten investigativen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die sich zum Zeitpunkt ihrer Ermordung über 40 zivil- und strafrechtlichen Klagen vor mehreren Gerichten ausgesetzt sah. Ihre Kinder sind diesen Klagen als Rechtsnachfolger*innen noch immer ausgesetzt.

All diese Beispiele verdeutlichen, dass es dringenden Handlungsbedarf in der EU gibt. Niemand darf durch strategische Klagen mundtot gemacht werden. Diejenigen, die öffentliche Kritik üben, die Recherchen veröffentlich, die einen kritischen Diskurs erst möglich machen, dürfen sich nicht Vergeltungsmaßnahmen, Einschüchterungen oder anderen Bedrohungen ausgesetzt sehen. Demokratie lebt vom lebendigen Diskurs der unterschiedlichen Meinungen. Da wo dieser Diskurs strategisch unmöglich gemacht wird, steht die Demokratie vor dem Aus.

Aus diesem Grund freut es mich, dass das Europäische Parlament am Donnerstag, den 11.11.2021, mit einer deutlichen Mehrheit von 444 Ja-Stimmen zu 48 Nein-Stimmen bei 75 Enthaltungen einen Initiativbericht angenommen hat, der die Kommission auffordert, umfassende Maßnahmen gegen SLAPP-Klagen vorzulegen. Der Bericht fordert die Kommission auf, in drei Bereichen tätig zu werden: durch Anpassungen im internationalen Privatrecht soll insbesondere dem Klagetourismus begegnet werden, daneben verlangt das Parlament gesetzliche Anpassungen auf EU-Ebene und soft law Maßnahmen. Schließlich sind auch die Mitgliedsstaaten gefordert, einzelstaatlich gegen SLAPP-Klagen vorzugehen, da auf EU-Ebene naturgemäß nur grenzüberschreitende Fälle adressiert werden können. Für die vom Parlament angenommenen Vorschläge gibt es aber nicht nur aus dem Parlament breite Unterstützung, sondern auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaftlern*innen, Richter*innen, Anwält*innen und SLAPP-Opfer unterstützen die Forderungen ausdrücklich.

Was genau schlägt das Europäische Parlament also vor?

Auf internationaler Ebene soll die Brüssel I-Verordnung so angepasst werden, dass bei SLAPP-Klagen der gewöhnliche Aufenthaltsort der Beklagten als alleiniger Gerichtsstand anzusehen ist. Zudem fordert das Parlament die Rom II-Verordnung anzupassen, so dass der Ort einer Veröffentlichung und hilfsweise der Ort der Redaktion als Gerichtsstand gilt.

Auf EU-Ebene sollen durch eine neue Richtlinie über gemeinsame und wirksame Schutzmaßnahmen Mindeststandards für den Schutz vor SLAPP-Klagen festgelegt werden. Dazu gehört natürlich eine einheitliche Definition von SLAPP-Klagen. Eine weitere Forderung ist die nach einer Beweislastumkehr. Im Falle einer SLAPP-Klage soll die klagende Partei nachweisen müssen, dass es sich nicht um eine missbräuchliche Klage handelt. Um den Opfern von SLAPP-Klagen lange und teure Prozesse zu ersparen, soll die Möglichkeit geschaffen werden, zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Klage abzuweisen, weil es sich um eine SLAPP-Klage handelt. Schließlich soll es nicht möglich sein in der gleichen Sache mehrere Verfahren gegen die Beklagten zu führen.

Gleichzeitig sind aber auch nicht legislative soft law Maßnahmen notwendig. Hierzu zählt unter anderem ein Fonds zur Unterstützung der Opfer von SLAPP-Klagen, so dass Rechtsberatungskosten übernommen oder psychologische Unterstützung finanziert werden kann. Daneben fordert das Europäische Parlament lokale Ombudsstellen, die in der Lage sind, Beschwerden von Personen zu bearbeiten, die mit SLAPP-Klagen konfrontiert sind. Die Ombudsstellen sollen sich zudem in einem EU-weiten Netzwerk zusammen. Da es sich bei SLAPP-Klagen um ein EU-weites Problem handelt, soll schließlich ein EU-weites SLAPP-Klagen-Register für einen besseren Überblick sorgen. Obwohl die Klagen weit verbreitet sind, sind sie als strategisches Phänomen noch immer nicht ausreichend bekannt. Daher fordert das Parlament die Kommission zudem auf, Maßnahmen zu erlassen, um in Rechtsberufen tätigen Personen Wissen über SLAPP-Klagen zu vermitteln. Denn die besten Anti-SLAPP-Regeln nützen nichts, wenn die missbräuchlichen Klagen nicht erkannt werden.

Statt Personen, die auf Missstände hinweisen, einzuschüchtern, müssen wir ihnen den Rücken stärken. Nicht die SLAPP-Opfer gehören vor Gericht, sondern diejenigen, die das Rechtssystem für diese Einschüchterungen missbrauchen.