von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

 

„Eine Abmahnung ist [..] nicht grundsätzlich deshalb unverhältnismäßig, weil nur ein leichter Pflichtverstoß vorliegt und zuvor keine einschlägige Ermahnung oder Rüge als milderes Mittel erteilt wurde.“

Landesarbeitsgericht Sachsen, Urt. v. 7.4.2022 – 9 Sa 250/21

 

Häufig streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht um die Wirksamkeit einer außerordentlichen (fristlosen) Kündigung. Das auch vermeintlich leichte Fehlverhalten zu der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses führen können, hat das Landesarbeitsgericht Sachsen kürzlich bestätigt.

Die Beteiligten stritten in zweiter Instanz um die Wirksamkeit einer ordentlichen (also fristgebunden) verhaltensbedingten Kündigung. Das Landesarbeitsgericht hat letztendlich festgestellt, dass die Kündigung wirksam war. Die Arbeitnehmerin war 51 Jahre alt, war drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet und seit ca. 5 Jahren im Unternehmen der Arbeitgeberin beschäftigt. Das Kündigungsschutzgesetz fand Anwendung.

Es gab im Unternehmen eine Richtlinie für eine aufgeräumte Arbeitsumgebung und Bildschirmsperren. Darin waren Regelungen zur Geheimhaltung enthalten, die etwa vorsehen Passwörter zu schützen, geheime Unterlagen in einer abschließbaren Schreibtischschublade aufzubewaren und beim Verlassen des Arbeitsplatzes den Computer zu sperren.

Wegen vorangegangener Ungenauigkeiten wurde die Arbeitnehmerin bereits wiederholt ermahnt und zur gewissenhaften Arbeit angehalten. Im weiteren Verlauf wurde der Arbeitnehmerin eine Abmahnung ausgesprochen, weil (andere) verhältnismäßig leichte Pflichtverstöße vorgekommen waren.

Schließlich verstieß die Arbeitnehmerin gegen die aufgestellte Richtlinie, sodass potentiell die Möglichkeit bestand, dass sensible Daten, die sich auf dem Schreibtisch der Arbeitnehmerin befunden haben, durch Dritte eingesehen werden konnten. Nachlässigkeiten zeigte die Arbeitnehmerin in der Folge ebenfalls und verstieß gegen die Richtlinie der Arbeitgeberin. Es folgten weitere Verstöße gegen die Richtlinie, die nach mehreren weiteren Abmahnungen zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung führte. Die Arbeitnehmerin wandte sich uA gegen die Kündigung mit der Begründung, dass ihr der Vorwurf für rechtswidriges Verhalten von Dritten (hier die unberechtigte Einsichtnahme in die von der Arbeitnehmerin bearbeiteten Dokumente) vorgeworfen werden könne.

Dies sah das Landesarbeitsgericht anders:

„Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände, die bei verständiger Würdigung un Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine schuldhafte, vorwerfbare und rechts- oder vertragswidrige Verletzung von Haupt- und Nebenleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis geeignet.“

Das Landesarbeitsgericht hat hervorgehoben, dass eine (ordentliche) Kündigung stets verhältnismäßig sein müsse, also das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen müsse, wegen der wiederholten vorangegangen Abmahnungen sei ein Festhalten am Vertrag für die Arbeitgeberin jedoch nicht zumutbar gewesen.

Vor dem Hintergrund, dass die Arbeitnehmerin sensible Daten unverschlossen im Schreibtisch aufbewahrte, obschon sie wiederholt abgemahnt worden war und ihr die Richtlinie bekannt war, ist die Kündigung hier als verhältnismäßig gewertet worden.

Der Fall zeigt im Ergebnis, dass auch – auf den ersten Blick – nicht gravierende Pflichtverstöße zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses führen können.  

Was macht ein Rechtsanwalt eigentlich, wenn nicht für Ihr Recht kämpft? Wenig überraschend überschneiden sich die Interessen unserer Anwälten mit den Hobbies, denen Sie in der Freizeit nachgehen. Heute möchten wir von einer unserer Freizeitaktivitäten berichten.

Die Begeisterung und unser Einsatz für das Fahrradrecht kommen nicht von ungefähr. Die Rechtsanwälte Dustin Hirschmeier, Timm Laue-Ogal und Burkhard Wulftange zählen zu den passionierten Rennradfahrern.

Am 30.07.2022 ist das rechtskontor49 Cycling Team geschlossen der Einladung des TuS Engter e.V. gefolgt und hat an der 42. RTF-Wadenkneifer teilgenommen. Wir hatten viel Spaß und möchten uns auch auf diesem Weg noch einmal für die ausgezeichnete Organisation, super Stimmung und Verpflegung bedanken. Im kommenden Jahr werden wir sicher wieder die Höhenmeter angreifen.

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

Das neue Nachweisgesetz – vom Papiertiger zum Bußgeldrisiko

Das Nachweisgesetz führte bislang ein Schattendasein in Deutschland. Es befasst sich mit den Vertragsbedingungen, die der Arbeitgeber seinen Beschäftigten auf deren Anforderung hin mitzuteilen hat. Verstöße durch den Arbeitgeber wurden nicht sanktioniert. Das ändert sich schon ab dem 01.08.2022: Künftig kann aber bei einem Verstoß gegen das Nachweisgesetz ein Bußgeld von bis zu 2.000 Euro pro Verstoß fällig werden.

Wie kam es dazu?

Der deutsche Gesetzgeber hat eine von der EU vorgegebene Vorgabe umgesetzt, und das sogar pünktlich. In der EU-Richtlinie zu transparenten Arbeitsbedingungen wird gefordert, dass die Mitgliedstaaten bis zum 31.07.2022 Vorgaben für Arbeitsvertragsklauseln umsetzen. Bislang hat Deutschland solche Fristen gerne einmal verstreichen lassen und deshalb Bußgelder an die EU bezahlt. Hier aber passierte die Änderung des Nachweisgesetzes den Bundestag ziemlich fix. Die Neuregelung gilt also ab dem 01.08.2022!

Der Vorher-Nachher-Vergleich

Das Nachweisgesetz hat in seinem § 2 Abs. 1 S. 1 bislang nur geregelt, dass Arbeitgeber die wichtigsten Vertragsbedingungen binnen eines Monats nach Beginn des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer auf Anforderung mitzuteilen haben. Hierbei handelt es sich nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG um folgende Punkte:

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien (Nr. 1)
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses (Nr. 2)
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung (Nr. 3)
  • Arbeitsort (Nr. 4)
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit (Nr. 5)
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts (Nr. 6)
  • Arbeitszeit (Nr. 7)
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs (Nr. 8)
  • Kündigungsfristen (Nr. 9)
  • Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind (Nr. 10).

Ab dem 1. August 2022 aber müssen nach dem geänderten Gesetz zusätzlich folgende Vertragsbedingungen schriftlich niedergelegt werden:

  • Bei befristeten Arbeitsverhältnissen: Enddatum des Arbeitsverhältnisses (Nr. 3)
  • freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer (Nr. 4)
  • Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit (Nr. 6 neu)
  • Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung (Nr. 6 alt, Nr. 7 neu)
  • Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen (Nr. 7 alt, Nr. 8 neu)
  • Regelungen bei Arbeit auf Abruf nach § 12 TzBfG (Nr. 9 neu)
  • Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen (Nr. 10 neu)
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildungen (Nr. 12 neu)
  • Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers – die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist (Nr. 13 neu)
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Wird über die 3-Wochen-Frist nicht informiert, ist die Kündigungsschutzklage allerdings trotzdem verspätet (Nr. 9 alt, Nr. 14 neu).

Neu im Nachweisgesetz ist zudem, dass Arbeitgeber bereits am ersten Arbeitstag neuen Arbeitnehmern einen Teil der Informationen (Name und Anschrift der Vertragsparteien, Arbeitsentgelt und Überstunden, Arbeitszeit) schriftlich auszuhändigen haben. Weitere Informationen (insbes. Beginn des Arbeitsverhältnisses, ggf. Befristung, Arbeitsort, Tätigkeitsbeschreibung und Überstunden) müssen innerhalb von sieben Tagen nachgereicht werden. Für die übrigen Informationen hat der Arbeitgeber einen Monat Zeit.

Nach § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG n.F. hat der Arbeitgeber schließlich die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses innerhalb obiger Fristen

„schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen“.

Daraus ergibt sich, dass für den Nachweis der im NachwG gelisteten Vertragsbedingungen die Schriftform gefordert wird und die elektronische Form nicht ausreichend ist.

Für wen gelten die Änderungen?

Die neuen Nachweispflichten gelten unmittelbar gegenüber allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihr Beschäftigungsverhältnis am 1. August 2022 beginnen.

Verträge von Mitarbeitenden, die bereits vor dem 1. August 2022 beschäftigt waren, bleiben hingegen unverändert. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben durch das neue Nachweisgesetz allerdings das Recht, ihren Arbeitgeber dazu aufzufordern, ihnen die neuen Informationen mitzuteilen. Dieser muss dann grundsätzlich innerhalb von sieben Tagen reagieren und bereits die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich aushändigen.

Weitere Informationen etwa über das Kündigungsverfahren, den Urlaub, die betriebliche Altersversorgung oder Fortbildungen müssen spätestens innerhalb eines Monats bereitgestellt werden. Das kann jeweils auch durch ein Informationsblatt geschehen, das aber ebenfalls in Schriftform ausgehändigt werden muss.

Was ist jetzt zu tun?

Die Politik ging davon aus, dass nur etwas 10 % der Unternehmen Änderungsbedarf aufgrund der neuen Vorgaben des Nachweisgesetzes haben werden.

Das dürfte ein fulminanter Irrtum sein. Tatsächlich werden die allermeisten Arbeitgeber ihre Arbeitsvertragsformulare um die zusätzlichen Bedingungen ergänzen und ein Informationsblatt dazu erstellen müssen. Nur so kann verhindert werden, der Gefahr eines Bußgeldes zu entgehen. Natürlich gilt auch hier der Grundsatz: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Wenn aber Beschäftigte ihre Arbeitsbedingungen anfordern, sollte jeder Arbeitgeber sich gut vorbereitet haben. Gerade die Vorgaben zur transparenten Regelung der Anordnung und Vergütung von Überstunden dürften für viele Angestellte von großem Interesse sein.

Wie können wir Ihnen helfen?

Im rechtskontor49 beraten Sie die Rechtsanwälte Timm Laue-Ogal und Dustin Hirschmeier zu allen Fragen der Arbeitsvertragsgestaltung. Melden Sie sich gern bei uns, wenn Sie als Arbeitgeber Klärungs- und Ergänzungsbedarf haben.

Und bitte achten Sie darauf: Es ist nicht mehr viel Zeit bis zum 01.08.2022!

von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

 

Mitteilung des Wechsels der Anschrift, § 10 Abs. 1 AsylG

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in dem Urteil vom 14.12.2021 – 1 C 40/20, NVwZ 2022, 799 – mit der Frage beschäftigt, wann die Mitteilung des Anschriftenwechsels an die zuständigen Stellen noch als „unverzüglich“ im Sinne des Gesetzes erfolgt. Denn § 10 Abs. 1 AsylG verpflichtet die Personen im Asylverfahren, die nicht mehr in der Aufnahmeeinrichtung leben:

Der Ausländer hat während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen.

Das Bundesverwaltungsgericht unterstreicht, dass es sich bei der Verpflichtung aus § 10 Abs. 1 AsylG nicht um eine Rechtspflicht handelt, sondern um spezifische Mitwirkungsobliegenheiten der Schutzsuchenden, bei deren Verletzung der Ausländer mit für ihn nachteiligen rechtlichen Konsequenzen rechen muss, vor allem dass ihm Zustellungen an die (alte) Anschrift normativ zugerechnet werden (BVerwG, NVwZ 2022, 799, 800, Rn. 15). Es ist dem Schutzsuchenden dann nicht möglich sich darauf zu berufen, dass er eine Zustellung nicht erhalten hätte.

In Abkehr zu der vorherigen Instanzrechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht nun klar gestellt, dass (gerechnet vom Umzugstag) die Adressänderung innerhalb von zwei Wochen an die zuständige(n) Stelle(n) mitgeteilt werden muss. Dies gebietet der in Art. 41 GRCh verbürgte Anspruch auf eine gute Verwaltung (BVerwG NVwz 2022, 799, 802 f.).

Es kommt für eine rechtzeitige Mitteilung auf den rechtzeitigen Eingang bei der zuständigen Stelle an. Eine bestimmte Form ist dafür nicht vorgeschrieben:

Die „unverzügliche“ Anzeige eines Wechsels der Anschrift iSv § 10 I Hs. 2 AsylG liegt vor, wenn der Ausländer den Anschriftenwechsel bei den im Gesetz genannten Stellen binnen zwei Wochen, gerechnet ab dem tatsächlichen Umzugstag, angezeigt hat.

Die Anzeige nach § 10 I Hs. 2 AsylG ist formlos möglich.

Unser Rat für Sie

Sowohl Asylsuchende als auch Unterstützer:innen sollten darauf achten, dass die Adresse richtig und rechtzeitig dem Bundesamt mitgeteilt wird. Dies geschieht nur in den seltensten Fällen automatisch. Mit der neuen Linie aus Leipzig können aber vielleicht Verfahren noch gerettet werden, in denen der Bescheid noch an eine alte Adresse zugestellt wurde, bevor die Frist von zwei Wochen abgelaufen war.

Lassen Sie dies am besten von unseren Experten für Asylrecht im rechtskontor49 prüfen.

von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

 

Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 26.04.2022 – Az. 58 Ca 12302/21) hat entschieden, dass die fristlose Kündigung eines Arbeitgebers wirksam ist, wenn diese wegen der Vorlage eines gefälschten Impfnachweises ausgesprochen wird.

Hintergrund

Ein Beschäftigter der Justiz hatte einen Nachweis gegenüber seinem Arbeitgeber vorgelegt, aus dem ersichtlich war, dass er den Genesenenstatus (Covid-19) erfüllte. Zu diesem Zeitpunkt sah § 28 Abs. 1 IfSG vor, dass ein Impfnachweis, Genesenennachweis oder ein tagesaktueller Schnelltest vorgelegt werden musste, um Zugang zu dem Gerichtsgebäude (Arbeitsstelle) zu erhalten, wenn an der Arbeitsstätte Kontakte zu anderen nicht auszuschließen waren. Der vorgelegte Nachweis erwies sich als Fälschung.

Die gerichtliche Begründung

Das Arbeitsgericht Berlin hat die fristlose Kündigung des Arbeitgebers als rechtswirksam anerkannt. Das Arbeitsgericht unterstrich, dass es bei den vorzulegenden Nachweisen um den Gesundheitsschutz für alle anwesenden Personen in dem Gebäude ginge. Derjenige, der diesen Schutz durch die Vorlage eines gefälschten Nachweises umginge, gefährdet den Gesundheitsschutz für die anderen Anwesenden in erheblichem Maße. Dies stellte eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten dar, die eine fristlose Kündigung – auch ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung – rechtfertige.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Einordnung

Das Arbeitsgericht Berlin stimmt mit der Entscheidung anderen Arbeitsgerichten zu, die bereits in ähnlichen Konstellationen entschieden haben. Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 23.03.2022 – 18 Ca 6830/21 – bereits entschieden, dass die fristlose Kündigung nach Vorlage eines gefälschten Impfpasses wirksam sei. Mit Urteil vom 17.06.2021 – 12 Ca 450/21 – hat das Arbeitsgericht Köln die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers im Außendienst (nach erfolgloser Abmahnung) für rechtmäßig anerkannt, nachdem dieser sich weigerte eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.

Das Arbeitsgericht Gießen hat mit Urteil vom 12.04.2022 – 5 Ga1/22 und 5 Ga 2/22 – entschieden, dass ein Beschäftigter im Pflege- und Gesundheitssektor, der sich nicht impfen lassen möchte, aber auch nicht darüber täuscht, freigestellt werden darf.

Es bleibt weiter abzuwarten, wie die Instanzgerichte entscheiden werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Vorgaben aus §§ 20a, 22a IfSG ist mit weiteren Streitigkeiten vor den Arbeitsgerichten zu rechnen.

Wir werden diese Entwicklung für Sie verfolgen und an dieser Stelle informieren.

Prüfung geschwänzt – Ausbildungsplatz weg

Das Arbeitsgericht Siegburg hat mit Urteil vom 17.03.2022 (5 Ca 1849/21) entschieden, dass eine fristlose Kündigung des Arbeitgebers auch im Berufsausbildungsverhältnis gerechtfertigt sein kann, wenn Auszubildende eine Erkrankung vortäuschen, um eine Prüfungsleistung nicht erbringen zu müssen.

Der Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein Auszubildender zum Sport- und Gesundheitstrainer eine Prüfung in der Berufsschule nicht bestanden. Aus diesem Grund sollte der Auszubildende eine Nachprüfung für diese nicht bestandene Prüfungsleistung ablegen. Diese Prüfung war für den 06. Oktober angesetzt.

Am 06. Oktober erschien der Auszubildende in einem dem Ausbildungsbetrieb zugehörigen Fitnessstudios und überreichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 05. Oktober bis einschließlich zum 07. Oktober. Unmittelbar im Anschluss absolvierte der Auszubildende in dem Fitnessstudio eine umfangreiche Sporteinheit. Die Nachprüfung in der Berufsschule, die für den gleichen Tag angesetzt war, hatte der Auszubildende ausfallen lassen. Wegen dieses Verhaltens kündigte der Ausbildungsbetrieb dem Auszubildenden fristlos, wogegen sich der Auszubildende mit einer Kündigungsschutzklage wehrte.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht Siegburg hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts hatte sich der Auszubildende nur deshalb krankschreiben lassen, um die Wiederholungsprüfung zu umgehen. Unabhängig davon, ob es sich bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um eine Gefälligkeitsbescheinigung oder eine erschlichene Bescheinigung gehandelt habe, stellte das Verhalten des Auszubildenden, nach Auffassung es Arbeitsgerichts, eine erhebliche Pflichtverletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Das Arbeitsgericht glaubte dem Auszubildenden nicht, dass er erst krank gewesen sei und dann plötzlich wieder gesund geworden sei. In dieser Konstellation sah es das Arbeitsgericht als unzumutbar für den Ausbildungsbetrieb an, den Auszubildenden bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Die Vortäuschung einer Erkrankung, unter Vorlage einer „falschen“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, um eine (Wiederholungs-)prüfung nicht absolvieren zu müssen, begründet eine entsprechende Unzumutbarkeit.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Bedeutung des Falles

22 BBiG sieht in Abs. 2 vor, dass nach Ablauf der Probezeit ein Ausbildungsverhältnis durch den Ausbildungsbetrieb nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden kann. Die Rechtsprechung stellt hierbei regelmäßig hohe Hürden auf, weil das Ausbildungsverhältnis in gewisser Weise einem Erziehungsverhältnis ähnelt.

Eine offensichtlich erschlichene AU-Bescheinigung, um eine Prüfung zu schwänzen, reichte dem Arbeitsgericht aber für einen wichtigen Grund aus.

 

ein Kommentar von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

Mobilität vs. Unversehrtheit

Immer wieder kommt es im Straßenverkehr zu Unfällen, die erhebliche Verletzungen und den Tod von Menschen nach sich ziehen. Im Alltag begegnet das Bedürfnis an individueller Mobilität (Art. 2 Abs. 1 GG) dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Leben, Art. 2 Abs. 2 GG. Sowohl die Wahl der Art der Mobilität im Alltag als auch das Recht nicht gefährdet zu werden genießen somit verfassungsrechtlichen Schutz. An diesen Vorgaben haben sich einfachgesetzliche Regelungen messen zu lassen. Wann immer grundrechtlich geschützte Positionen aufeinandertreffen, muss ein Ausgleich geschaffen werden, wonach beiden Positionen möglichst viel Entfaltung zukommt, ohne dass eine Position vollständig zurücktritt. Diese Abwägung wird in der Rechtswissenschaft als praktische Konkordanz bezeichnet.

Die rechtliche Konfliktbewältigung in Bewegung

Im Rang unterhalb der Verfassung hat der Gesetzgeber die Vorgaben der Verfassung konkretisiert und in einfachgesetzlichem Rahmen festgelegt. Für den Straßenverkehr sind die Verhaltensgebote primär in der StVO niedergelegt. Verstöße gegen die StVO sind regelmäßig mit einem Bußgeld belegt und werden im Ordnungswidrigkeitsverfahren geahndet. § 47 OwiG sieht für Ordnungswidrigkeiten das sog. Opportunitätsprinzip vor. Das bedeutet, dass die zuständige Verwaltungsbehörde im pflichtgemäßen Ermessen selbst entscheiden kann, ob sie eine Verfolgung eines Verstoßes fortführt oder das Verfahren eigenständig einstellt. Ein weiterer Aspekt des Ordnungswidrigkeitsverfahrens im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr ist, dass die Bußgelder regelmäßig aufgrund des erlassenen Bußgeldkatalogs festgelegt sind.

Der technische Fortschritt und die Zunahme an individueller Mobilität führen bedauerlicherweise immer häufiger zu erheblichen Verletzungen und immer häufiger zum Tod von Bürger:innen im Zusammenhang mit dem täglichen Straßenverkehr. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Bußgelder, die im Ordnungswidrigkeitenverfahren verhängt werden, eine ausreichende Abschreckungswirkung entfalten, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden zu gewährleisten. In den vergangenen Jahren hat sich deshalb immer häufiger das Erfordernis ergeben, Fragen im Zusammenhang des Straßenverkehrs nicht mehr nur auf der Ebene der Ordnungswidrigkeiten juristisch zu diskutieren, sondern diese in den Bereich des Strafrechts zu verlagern. Im Unterschied zum Ordnungswidrigkeitenverfahren obliegt die Entscheidung, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird nicht den Verwaltungsbehörden, sondern der Staatsanwaltschaft. § 152 Abs. 2 StPO legt das sogenannte Legalitätsprinzip fest. Danach ist die Strafverfolgungsbehörde verpflichtet Ermittlungen aufzunehmen, sofern zureichende Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Straftat verübt worden sein könnte. Im Unterschied zum Bußgeldverfahren besteht hier also nicht die Möglichkeit ein Verfahren aus Opportunitätsgründen einzustellen.

Das Strafrecht sieht in der Bundesrepublik besondere Straftatbestände vor, die auf den Straßenverkehr zugeschnitten sind (bspw. §§ 315b, 315c, 315d, 316 StGB). In den vergangenen Jahren hat sich die rechtswissenschaftliche Diskussion und Praxis jedoch mit weiteren Fragestellungen aus dem Bereich des Strafrechts beschäftigen müssen. Die Straftatbestände, die auf den Straßenverkehr zugeschnitten waren, haben die tatsächlichen Auswirkungen des Straßenverkehrs nicht (vollständig) erfassen können. Die öffentliche Diskussion hat – zurecht – gefragt, ob bestimmte Verhaltensweisen im Straßenverkehr von der Gesellschaft zu akzeptieren seien und weshalb das Strafrecht diese Verhaltensweisen nicht in ausreichender Weise sanktionierte. Hintergrund dieser Überlegungen ist ein medial stark diskutierter Vorfall in Berlin, der indessen kein Einzelfall geblieben ist – jedenfalls was die Tathandlung anbelangt. In dem damaligen Fall haben sich zwei junge Männer in der Hauptstadt verabredet ein Autorennen innerhalb einer Innenstadt durchzuführen. Nach den Informationen, die bekannt geworden sind, sind die beiden Männer mit hochmotorisierten Autos mit hoher Geschwindigkeit in Berlin durch die Innenstadt gerast. Zunächst hatten die Beteiligten diese Rennen von Ampel zu Ampel begonnen. Im weiteren Verlauf steigerten sich die Beteiligten immer weiter in die Situation herein und erreichten Geschwindigkeiten von deutlich über 100 km/h (teils bis zu 160 km/h) in der Innenstadt Berlins. Zu diesem Zeitpunkt reagierten die Beteiligten auch nicht mehr auf rote Ampeln, sondern missachteten diese und fuhren über rot. Das Rennen endete durch einen fürchterlichen Zusammenstoß. Ein älterer Herr ist mit seinem Auto – er hatte grün – auf eine Kreuzung eingefahren und wurde von einem der am Rennen beteiligten Personen seitlich gerammt. Der ältere Herr verstarb am Ort des Zusammenstoßes, während die beiden am Rennen beteiligten Männer überlebten. Erst dieser Vorfall veranlasste den Gesetzgeber dazu, „Autorennen“ strafrechtlich ausdrücklich zu sanktionieren und § 315d StGB in das Strafgesetzbuch aufzunehmen.

Ein Mensch wurde durch rücksichtsloses Verhalten getötet. Die Rechtsordnung ging zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich von einem derart krassen Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr aus. Für die Einordnung des Strafverfahrens ist es wichtig zu wissen, dass das Strafrecht so aufgebaut ist, dass nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, solange das Gesetz nicht auch ausdrücklich fahrlässiges Verhalten unter Strafe stellt. Regelmäßig wurden und werden Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Tod eines Menschen im Straßenverkehr durch § 222 StGB sanktioniert. Danach wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer fahrlässig einen Menschen tötet. § 212 StGB sieht vor, dass im Falle der vorsätzlichen (absichtliche, wissentliche oder billigend in Kauf nehmende) Tötung eines Menschen die Strafe nicht unter 5 Jahren Freiheitsstrafe beträgt. Als schwierig gestaltet sich insbesondere die Abgrenzung zwischen fahrlässigem Handeln und bedingtem Vorsatz. Fahrlässigkeit liegt immer dann vor, wenn der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist. Bedingter Vorsatz liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der Täter den Eintritt der Folge (Tötung eines Menschen) für möglich hält, er dies jedoch nicht unbedingt wünscht. Der Täter nimmt die Folge hierbei also billigend in Kauf. In der Abgrenzung zur Fahrlässigkeit hält der Täter in letzterem Fall die Folge der Tat durchaus auch für möglich, vertraut aber darauf, dass diese Folge nicht eintreten werde. In der Praxis ist diese Abgrenzung schwierig, weil sie grundsätzlich an subjektiven Komponenten, also der inneren Einstellung des Täters zur Tat, beantwortet werden muss und man dem Täter „nicht in den Kopf schauen kann“. Die Beurteilung durch das Gericht und die Staatsanwaltschaft erfolgt also anhand objektiver Umstände, die Rückschlüsse auf diese innere Einstellung des Täters zulassen. Mord im Sinne des § 211 StGB liegt immer dann vor, wenn die Tötung eines Menschen mit besonderen Merkmalen verknüpft ist. Das Gesetz knüpft hier an die Tötung besondere tatbezogene oder täterbezogene Merkmale, die zu einer Strafschärfung führen, namentlich lebenslanger Freiheitsstrafe.

Im Fall der „Kudamm-Raser“ hatte die Staatsanwaltschaft nicht wegen fahrlässiger Tötung, sondern wegen (versuchten) Mordes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft ging hier also davon aus, dass der Täter bedingten Vorsatz hatte. (Ich beschränke meine Ausführungen hier auf den Täter, der den getöteten Menschen nicht gerammt hatte, sondern sich an dem Rennen beteiligt hatte). Das Landgericht Berlin hatte den Täter wegen versuchten Mordes verurteilt. Dreimal legte der Täter Revision zum BGH ein. Zweimal hob er BGH die Verurteilung auf, im Rahmen der dritten Revision bestätigte der BGH die Verurteilung wegen versuchten Mordes (4 StR 319/21).

Die Problematik in juristischer Hinsicht besteht in diesem Fall darin, dass sich der Täter tatsächlich keine Gedanken dazu gemacht hatte, dass er durch sein Verhalten einen Menschen töten könnte. Er hatte im Zeitpunkt des Zusammenstoßes wegen der hohen Geschwindigkeit auch den durch den Zusammenstoß getöteten Menschen nicht wahrgenommen. Nach den Feststellungen des Landgerichts Berlin, die der BGH mitgetragen hat, war für den Täter klar, dass er einen Zusammenstoß auf der Kreuzung nicht hätte verhindern können und ging aufgrund dieses Umstandes von vorsätzlichem Handeln aus.

Der Bundesgerichtshof hatte die Mordmerkmale „Heimtücke“ und „niedrige Beweggründe“ als erfüllt angesehen. Heimtückisch handelt ein Täter (vereinfacht dargestellt), wenn das Tatopfer sich im Zeitpunkt der Tat keines Angriffs versieht, das Opfer arglos ist, aus diesem Grund wehrlos. Niedrige Beweggründe sind dann erfüllt, wenn die Tat auf sittlich niedrigster Stufe steht. In den Autorennenfällen ist somit nun geklärt, dass diese im Falle der Tötung eines Menschen den Straftatbestand es Mordes erfüllen können.

Tödliche Unfälle mit Radfahrenden

Anlass dieser Ausführungen ist ein (erneuter) bedauerlicher Vorfall im Straßenverkehr. Am 23.03.2022 ist ein Radfahrer in Osnabrück erneut getötet worden, als ein LKWführer im Stadtgebiet rechts abbiegen wollte und dabei den Radfahrer überrollte. Diese Art von Vorfällen mit LKW kommt bedauerlicherweise immer wieder vor. Es ist nicht meine Intention dem Führer des LKW den Vorwurf der Absicht zu machen. Der Vorfall zeigt jedoch wieder einmal, dass sich trotz zahlreicher vergleichbarer Ereignisse in der Vergangenheit, keine Besserung eingestellt hat. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen nicht reagiert. Aus diesem Grund halte ich es für erforderlich, dass die strafrechtliche Diskussion – insbesondere nach der Entscheidung des BGH vom 19.01.2022 zu den Raserfällen – auch die Konstellation um die LKW in das Blickfeld nimmt. Überträgt man die Feststellungen zu den Raserfällen auf die abbiegenden LKW, so wird man feststellen, dass sich der Radfahrer ebenfalls keines Angriffs versehen haben wird. Das wäre nach meinem Dafürhalten auch nicht anders einordnenbar. Derjenige, der im Straßenverkehr „stärker“ ist, trägt eine höhere Pflicht zur Rücksichtnahme. Es wäre nicht vermittelbar, wenn der „schwächere“ Verkehrsteilnehmer, namentlich Fußgehende und Radfahrende stets damit rechnen müssten, überfahren zu werden. Dies stellte einen Offenbarungseid dar und eine Verlagerung der Verantwortung auf Nichthandelnde.

Auch in diesen Konstellationen der abbiegenden LKW stellt sich die Frage ob fahrlässiges Handeln vorliegt oder bedingter Vorsatz. Hat der Handelnde das Risiko billigend in Kauf genommen oder darauf vertraut, dass nichts geschehen würde? Der Vergleich zu den Raserfällen erscheint im ersten Moment konstruiert. Für jeden ist sofort klar, dass eine Fahrt mit dem Auto mit einer Geschwindigkeit, die die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn überschreitet, in der Innenstadt extrem gefährlich ist. Bis zu den Entscheidungen des BGH in den Raserfällen hat hier jedoch keine Verurteilung wegen Totschlags/Mords stattgefunden. Die Rechtsprechung ist im Jahr 2022 neu, für diese Taten.

Ein Auto ist bei der Geschwindigkeit von 160 km/h nicht kontrollierbar in der Stadt. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob ein LKW kontrollierbar ist, in der Innenstadt. Der LKW wird nicht mit der Geschwindigkeit des Autos im Kudamm-Fall bewegt. Gleichwohl besteht die Gefährdung in diesem Fall durch das erheblich größere Gewicht. Wenn der Ansatz beim Rasen die Geschwindigkeit ist, mit der eine fehlende Kontrollierbarkeit begründet wird, müsste diese Frage folgerichtig auch für LKW geprüft werden, mit erheblichem Gewicht und einer scheinbaren Unübersichtlichkeit. Der Rechtsstaat sollte es nicht akzeptieren, dass durch den Wunsch unsicherer Mobilität Menschen sterben. Neben dem Gewicht, von dem eine erhebliche Gefahr ausgeht, spielt auch das Argument des „toten Winkels“ eine erhebliche Rolle für meine Fragestellung. An zahlreichen LKW sind Aufkleber angebracht, die andere Verkehrsteilnehmende auf einen „toten Winkel“ aufmerksam machen sollen. Diese Aufkleber verlagern das Risiko einer Verletzung auf andere Verkehrsteilnehmer und ist m. E. auch bei der Frage des Verhaltens eines LKW-Führenden zu berücksichtigen. Es wären Untersuchungen wünschenswert, wie sich diese Aufkleber auf das Verhalten und Selbstverständnis des Führenden des LKW auswirken. Die EU hat die Problematik des „toten Winkels“ erkannt. In der Richtlinie 2007/38 EG hat die EU für Neuzulassungen für in der Richtlinie bestimmte schwere Fahrzeuge, ab spätestens April 2009, vorgesehen, dass der „tote Winkel“ entschärft werden soll. LKW – mit bestimmten Ausnahmen – müssen im Falle der Zulassung in der EU mit Weitwinkel und Nahbereichsspiegeln ausgestattet sein. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch in diesen Fallgestaltungen die Frage des Vorsatzes gestellt werden sollte. Nach der Pressemitteilung der Polizei Osnabrück wurde Haftbefehl gegen den LKW-Fahrer beantragt und Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung aufgenommen. Zumindest in diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft eine Vergleichbarkeit zu den Raserfällen (noch) nicht angenommen.

Ein wichtiges Wort zum Schluss

Ich möchte jedoch auch betonen, dass eine strafrechtliche Aufarbeitung den Verlust für die Angehörigen nicht aufwiegt. Jeder Todesfall im Straßenverkehr ist m. E. aber einer zu viel. Solange die Infrastruktur nicht für den Schutz und die Sicherheit der „schwächeren“ Verkehrsteilnehmenden geändert wird und solange der Gesetzgeber nicht auf einfachgesetzlicher Ebene aktiv wird, um den Schutz vulnerabler Gruppen im Straßenverkehr auszubauen, ist es aus meiner Sicht wichtig die oben aufgeworfene Fragestellung in der Rechtswissenschaft ergebnisoffen zu diskutieren. Denn die Abschreckung ist und bleibt eine Aufgabe des Strafrechts in unserer Gesellschaft, für die Durchsetzung der gemeinsamen Regeln und des gemeinsamen Konsenses.

Es verbleibt die Hoffnung auf eine bessere Infrastruktur. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen des Opfers.