Viele minderjährige Geflüchtete, bei denen die Volljährigkeit bevorsteht, gehen derzeit davon aus, dass ohne Aufenthaltstitel der Anspruch auf Familiennachzug der Eltern mit Eintritt ihrer Volljährigkeit erlischt. Es war bislang überwiegende Ansicht, dass der Aufenthaltstitel vorliegen muss, bevor ein Antrag auf ein Visum zum Nachzug für die Eltern erfolgversprechend ist.

An dieser bisherigen Rechtsprechung hat sich spätestens durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus den Jahren 2018 und 2022 sowie jüngst durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin aus August 2023 viel geändert.

Auch wenn sich die oder der minderjährige Geflüchtete noch im laufenden Asylverfahren befindet und noch keinen Aufenthaltstitel hat, kann ein Antrag auf ein Visum zum Familiennachzug vor dem 18. Geburtstag ausreichen, um den Anspruch nach Eintritt der Volljährigkeit nicht zu verlieren.

Damit alle Chancen gewahrt werden, muss bei der

  • für den Wohnort der Eltern zuständigen
  • Deutschen Botschaft im Ausland
  • ein Antrag auf Visa zum Familiennachzug
  • zum Nachweis schriftlich, per Fax oder per E-Mail

gestellt werden. Dies kann auch

  • durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt mit entsprechender Vollmacht geschehen.

Wenn Sie hierzu Fragen haben, wenden Sie sich noch in 2023 gern konkret

per Mail an Rechtsanwältin Stephanie C. Eggert!

Die Beratung und auch die Antragstellung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt sind kostenpflichtig.

von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

 

Der Hintergrund: Die Rechtslage in Ungarn

Der ungarische Staat hatte die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen davon abhängig gemacht, dass zuvor eine Absichtserklärung bei einer Botschaft in einem Drittstaat eingereicht werden müsse. Das Land hatte diese Art von Vorverfahren für die Antragstellung durch Gesetz im Zuge der Covid-19 Pandemie erlassen. Erst nach Ausstellung eines Reisedokumentes durch die ungarischen Auslandsvertretungen und nach erfolgter Überprüfung wurde die Einreise des Schutzsuchenden zum Zwecke des Hilfegesuchs für internationalen Schutz ermöglicht. Die Europäische Kommission stufte das ungarische Gesetz als unionsrechtswidrig ein und leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes

Der EuGH entschied, dass die ungarische Regelung mit der Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes nicht in Einklang zu bringen ist. Die Regelung nimmt den Schutzsuchenden die Möglichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und verhindere die Möglichkeit internationalen Schutz zu suchen und zu erlangen.

Auch die Eindämmung der Covid-19 Pandemie war nach Auffassung der Richter kein valides Kriterium für die Einführung des Gesetzes, denn dieses erwies sich insbesondere nicht als verhältnismäßig. Hierbei sei insbesondere nicht ersichtlich, dass das Erfordernis des Aufsuchenmüssens einer weiteren Behörde in einem Drittstaat die Eindämmung der Krankheit hätte fördern können. Der Spruchkörper hegte dahingehend bereits Zweifel hinsichtlich der Tauglichkeit der ergriffenen Maßnahme.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung unterstreicht, dass migrationsrechtliche Vorgaben primär auf europäischer Ebene vereinbart werden. Das Auslegungsmonopol für diese Regelungen besitzt der EuGH. Im Ergebnis ist es für die Mitgliedstaaten – sofern die europarechtlichen Vorgaben verbindlich und abschließend sind – kaum möglich diese Vorgaben zu unterlaufen. Anhand der Entscheidung wird erneut verdeutlicht, dass es stets erforderlich ist sämtliche Aspekte des Einzelalls zu berücksichtigen, bspw. in Dublin – Verfahren.

In einem Artikel zum Migrationsgipfel am 8.6.2023 gab die Neue Osnabrücker Zeitung auch die Meinung von Rechtsanwalt Henning J. Bahr vom rechtskontor49 wieder:

Henning J. Bahr, Fachanwalt für Verwaltungs- und Migrationsrecht, sagt: „Es ist die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Ich habe Zweifel, dass die jetzigen Reformpläne vor den Europäischen Gerichten Bestand hätten.“ Bahr gehört zu den rund 700 Juristen, die einen offenen Brief gegen die Asylpläne der Bundesregierung veröffentlicht haben.

Für den Osnabrücker Bahr bedeuten die Reformpläne „die Abschaffung der Grundrechte auf ein faires Verfahren und rechtliches Gehör für Asylsuchende“. Unter anderem, weil in den Asylzentren kein Rechtsschutz gewährt werden soll. Im Zweifel können sich Flüchtlinge also nicht juristisch wehren. Nach welchen Standards in den Zentren entschieden werden soll und wo sie errichtet werden könnten, bleibt vorerst unklar.

„Ja, es soll Monitoring stattfinden. Aber was heißt das am Ende? Dass in Europa ein Grenzbeamter auf einen Monitor schaut“, fragt der Jurist. Bahr drückt es so aus: „Das hat nichts mehr mit Rechtsstaat zu tun. Das ist Wildwest.”

Quelle: Neue OZ online, Wie realistisch sind Asylzentren an den EU-Außengrenzen?, Dirk Fisser und Marie Busse, 7.6.2023

 

Über den offenen Brief haben wir hier berichtet.

Rechtsanwältin und Rechtsanwälte, die Migrationsrecht tätig sind, haben im Republikanischen Anwaltverein (RAV) einen offenen Brief an die Bundesregierung verfasst, in dem die Planungen für ein abweisendes Asyl-, Flüchtlings- und Zuwanderungsrecht kritisiert werden.

Die Hintergründe: Verschärfungen im deutschen und europäischen Asylrecht

Wir stehen in diesen Tagen vor den massivsten Verschärfungen des Flüchtlingsrechts seit Jahrzehnten. Es erfolgt ein Paradigmenwechsel. Die Bundesregierung will das Asylverfahren demontieren und zu einem Schnellverfahren an den Außengrenzen machen.  Mit der Fiktion der Nicht-Einreise wird ein Zustand der Rechtslosigkeit statuiert. Dies wird mit der Einrichtung von Internierungslagern einhergehen. Flankierend dazu sollen auf nationaler Ebene Ausreisezentren geschaffen, Abschiebehaft ausgeweitet, die Liste sicherer Herkunftsstaaten verlängert und die Möglichkeiten des polizeilichen Zutritts zu Unterkünften zur Durchführung von Abschiebungen ausgebaut werden.

Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag in der Migrationspolitik einen „Paradigmenwechsel“ – in entgegengesetzter Richtung – angekündigt, „um Geflüchtete zu schützen“, und verabredet, sich für „bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren“ auf europäischer Ebene einzusetzen.

Nun betreibt sie eine Politik der Abschottung, in der die Menschen und ihre Rechte keinen Platz in den veröffentlichten Beschlüssen und Statements haben. Die von der Bundesregierung forcierten Änderungen auf nationaler und europäischer Ebene sind nicht nur eine der weiteren x-beliebigen Verschärfungen des Asylrechts – sie stellen das Recht von Geflüchteten, sie stellen den Rechtsstaat als solchen in Frage. (RAV, 25.5.2023)

Die Initiator:innen zu Ihrer Motivation

Als Anwält*innen im RAV, haben wir diesen Offenen Brief verfasst und möchten es an die nationalen und europäischen Entscheidungsträger*innen versenden. Wir wollen nicht resignieren angesichts des massiven Rechtsrucks in der Debatte und wollen die erkämpften Rechte verteidigen. (Berenice Böhlo, Ünal Zeran und Matthias Lehnert)

Zu den Unterzeichnern gehört auch Rechtsanwalt Henning J. Bahr, der sich als Fachanwalt für Migrationsrecht seit über 15 Jahren im Aufenthalts- und Asylrecht engagiert. Ein Interview mit Mitinitiator Matthias Lehnert mit LTO Deutschland wird hier berichtet.

von Rechtsanwalt Henning J. Bahr

 

In seltener Klarheit sind in den Wochen mehrere Entscheidungen zu Gunsten der Schutzsuchenden in Asylverfahren gefallen. das Bundesverwaltungsgericht, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes haben sich zu teilweise grundsätzlichen Fragen betreffen das Asylverfahren und Abschiebungen geäußert.

Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 16.02.2023 – 1 C 19.21) hat entschieden, dass ein Auslesen von Handydaten im Asylverfahren unzulässig ist, wenn andere Erkenntnisquellen wie Dokumente aus dem Heimatland zur Feststellung der Identität zur Verfügung stehen. Die einschlägige Rechtsgrundlage § 15a Abs. 1 Satz 1 AsylG iVm. § 48 Abs. 3a Satz 3 AufenthG lasse ohnehin die Ausschließung von Handys nur zu diesem Zweck zu. Die hieran zu stellenden Anforderungen hätte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber nicht eingehalten. So hatte auch schon die erste Instanz entschieden.

Der Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg (Urt. v. 22.02.2023 – A 11 S 1329/20) hat in einer aktuellen Entscheidung die Abschiebung eines jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mannes nach Afghanistan für unzulässig erklärt und die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, Abschiebungsverbote festzustellen. eine Abschiebung nach Afghanistan würde den Mann in eine ausweglose und deswegen menschenunwürdige Lage bringen, da die Situation in Afghanistan so problematisch sei, dass dort nicht einmal die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot und Seife“) erwirtschaftet werden könnten. Die Flüchtlingseigenschaft oder den sogenannten subsidiären Schutz wollte der Verwaltungsgerichtshof aber nicht zuerkennen.

Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Urt. v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 u.a) hat bereits im vergangenen Jahr in fünf Entscheidungen Abschiebungen nach Griechenland als rechtswidrig angesehen. Hintergrund von Abschiebungen innerhalb der EU sind entweder sogenannte Dublin-Verfahren, in denen ein anderer Mitgliedstaat als Deutschland für das Asylverfahren zuständig ist, oder Asylanträge von Schutzsuchenden, die solchen Schutz bereits in anderen Mitgliedstaaten erhalten haben. In der Entscheidung wurde hinsichtlich Griechenland festgehalten, dass die Situation dort als schutzberechtigt anerkannter Personen aufgrund fehlender staatlicher Unterstützung und einer faktischen Unmöglichkeit, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, so katastrophal ist, dass von sogenannten systemischen Mängeln gesprochen werden muss, die auch innerhalb des gemeinsamen europäischen Systems nicht mehr hingenommen werden können.

Vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen kann es sinnvoll sein, zurückliegende und aktuelle asylrechtliche Verfahren noch einmal zu betrachten. Wenn Sie hierzu Fragen haben, wenden Sie sich gern an unsere Experten für Migrationsrecht.

 

 

von Rechtsanwalt Henning J. Bahr

 

Spezialitätenköche aus dem Ausland können für Ihre Tätigkeit in entsprechenden Restaurants Visa als Fachkräfte erhalten. Es muss sich dabei um ein Angebot nach Rezepten und Herstellungsweisen aus dem Herkunftsland handeln, das die landestypischen Gerichte möglichst unverfälscht wiedergibt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat nun entschieden, dass ein Döner-Imbiss keine solche Arbeitsgelegenheit in einem Spezialitätenrestaurant ist (Urteil vom 22.12.2022 – VG 14 K 139.19 V).

Das Gericht hatte zwar auch Zweifel daran, ob Döner und Pizza überhaupt als landestypische und unverfälschte Gerichte der türkischen Küche sind. Entscheidend war hier aber, dass ein imbisstypischer Verkauf zur Selbstbedienung oder Mitnahme ohne Service und mit begrenzten Sitzgelegenheiten vor Ort schon kein Restaurant im Sinne der Vorschriften darstellt.

Das Urteil zeigt, dass es auch angesichts des Fachkräftemangels nicht sinnvoll ist, sich bei dem Verständnis einer Vorschrift allein auf das eigene Vorstellungsvermögen zu verlassen. Beauftragen Sie besser einen Experten für Migrationsrecht mit der Beratung und Beurteilung, ob ein Visumverfahren erfolgversprechend ist – auch wenn Ihnen möglicherweise nicht jede Antwort gefällt.

von Rechtsanwalt Henning J. Bahr, LL.M.

Weitreichende Änderungen im Aufenthaltsrecht und im Asylverfahren

Am 2.12.2022 hat der Bundestag das Chancen-Aufenthaltsrecht beschlossen. Damit sollen Geduldete ein gesichertes Aufenthaltsrecht erhalten, unter dessen Geltung sie sich dann um die Klärung ihrer Identität kümmern können. Zumeist bedeutet das, dass ein Pass beschafft werden muss. Auch der Zugang zu anderen Bleiberechten für Geduldete, die ihre Identität bereits geklärt haben, wird durch die Gesetzesänderung erleichtert. Außerdem wurde der Ehegattennachzug zu Fachkräften erleichtert, indem die Erforderlichkeit von Sprachkenntnissen vielfach abgeschafft wurde. Ob die weiter beschlossenen Änderungen im Asylverfahren wirklich eine Beschleunigung mit sich bringen, wird sich zeigen müssen.

Die Gesetzesänderungen sind überwiegend am 1.1.2023 in Kraft getreten!

Das Chancen-Aufenthaltsrecht

Nach dem neuen § 104c AufenthG eine Aufenthaltserlaunis soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn

  • am 31.10.2022 mindestens fünf Jahre Aufenthalt in Deutschland bestanden,
  • ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordung vorliegt, das unterschrieben werden muss,
  • keine Straftaten begangen wurden, die zu mehr als 50 Tagessätzen Geldstrafe (90 Tagessätzen bei Straftaten, die nur von Ausländern begangen werden können) geführt haben oder bei denen Jugendstrafrecht (ausgenommen Jugendstrafe) angewendet wurde.

Für die Aufenthaltserlaubnis ist weder die Sicherung des Lebensunterhaltes noch die Klärung der Identität oder die Vorlage eines Passes erforderlich. Sie bedarf keines Visumverfahrens und kann auch nach einem als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrag erteilt werden. Sie gilt für 18 Monate und darf währenddessen nur als Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige gem. § 25a AufenthG oder wegen guter Integration gem. § 25b AufenthG verlängert werden.

Änderungen bei Bleiberechten wegen Integration

Die Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige gem. § 25a AufenthG soll

  • bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres
  • nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland

erteilt werden. Allerdings setzt die Erteilung mindestens 12 Monate vorangegangene Duldung voraus.

Die Aufenthaltserlaubnis wegen guter Integration gem. § 25b AufenthG kann jetzt schon

  • nach sechs Jahren Aufenthalt in Deutschland

erteilt werden. Der Zeitraum verkürzt sich auf vier Jahre, wenn ledige minderjährige Kinder im gleichen Haushalt leben.

Leichtere Einbürgerung in der Diskussion

Nur eine Diskussion der Bundesregierung bleibt die Erleichterung einer Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Allerdings ist dies aktuell für Einbürgerungsbewerber aus der Ukraine greifbar: Das Bundesinnenministerium hat die Entlassung aus der ukrainischen Staatsangehörigkeit als Voraussetzung für eine Einbürgerung schon vor einiger Zeit ausgesetzt.

Was bedeutet das für Sie?

Sprechen Sie uns gern auf darauf an, ob das Chancen-Aufenthaltsrecht oder eine der anderen neuen Regelungen für Sie in Frage kommt. Für die Prüfung benötigen wir

  • eine aktuelle Duldungsbescheinigung
  • einen Nachweis für die Einreise nach Deutschland (zB. den ersten Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge),
  • eine Auskunft, ob Sie in der Vergangenheit wegen Staftaten verurteilt wurden und
  • Informationen zu Ihrem Einkommen und mit wem Sie gemeinsam leben.

Senden Sie die Unterlagen an info@rechtskontor49.de. Für die Prüfung fällt eine Bearbeitungspauschale an, wenn wir für Sie das Antragsverfahren durchführen sollen, bringt das weitere Kosten mit sich.

 

Lesen Sie auch noch einmal in unserem FAQ nach!

 

Dieser Artikel ist erstmals am 3.12.2022 erschienen und wird wegen aktueller Änderungen neu veröffentlicht.

von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

 

Mitteilung des Wechsels der Anschrift, § 10 Abs. 1 AsylG

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in dem Urteil vom 14.12.2021 – 1 C 40/20, NVwZ 2022, 799 – mit der Frage beschäftigt, wann die Mitteilung des Anschriftenwechsels an die zuständigen Stellen noch als „unverzüglich“ im Sinne des Gesetzes erfolgt. Denn § 10 Abs. 1 AsylG verpflichtet die Personen im Asylverfahren, die nicht mehr in der Aufnahmeeinrichtung leben:

Der Ausländer hat während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen.

Das Bundesverwaltungsgericht unterstreicht, dass es sich bei der Verpflichtung aus § 10 Abs. 1 AsylG nicht um eine Rechtspflicht handelt, sondern um spezifische Mitwirkungsobliegenheiten der Schutzsuchenden, bei deren Verletzung der Ausländer mit für ihn nachteiligen rechtlichen Konsequenzen rechen muss, vor allem dass ihm Zustellungen an die (alte) Anschrift normativ zugerechnet werden (BVerwG, NVwZ 2022, 799, 800, Rn. 15). Es ist dem Schutzsuchenden dann nicht möglich sich darauf zu berufen, dass er eine Zustellung nicht erhalten hätte.

In Abkehr zu der vorherigen Instanzrechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht nun klar gestellt, dass (gerechnet vom Umzugstag) die Adressänderung innerhalb von zwei Wochen an die zuständige(n) Stelle(n) mitgeteilt werden muss. Dies gebietet der in Art. 41 GRCh verbürgte Anspruch auf eine gute Verwaltung (BVerwG NVwz 2022, 799, 802 f.).

Es kommt für eine rechtzeitige Mitteilung auf den rechtzeitigen Eingang bei der zuständigen Stelle an. Eine bestimmte Form ist dafür nicht vorgeschrieben:

Die „unverzügliche“ Anzeige eines Wechsels der Anschrift iSv § 10 I Hs. 2 AsylG liegt vor, wenn der Ausländer den Anschriftenwechsel bei den im Gesetz genannten Stellen binnen zwei Wochen, gerechnet ab dem tatsächlichen Umzugstag, angezeigt hat.

Die Anzeige nach § 10 I Hs. 2 AsylG ist formlos möglich.

Unser Rat für Sie

Sowohl Asylsuchende als auch Unterstützer:innen sollten darauf achten, dass die Adresse richtig und rechtzeitig dem Bundesamt mitgeteilt wird. Dies geschieht nur in den seltensten Fällen automatisch. Mit der neuen Linie aus Leipzig können aber vielleicht Verfahren noch gerettet werden, in denen der Bescheid noch an eine alte Adresse zugestellt wurde, bevor die Frist von zwei Wochen abgelaufen war.

Lassen Sie dies am besten von unseren Experten für Asylrecht im rechtskontor49 prüfen.

Verwaltungsgericht Osnabrück fällt erste Urteile über Asylverfahren betreffend Afghanistan in 2022.

Im Oktober 2021 haben wir in der ersten Ausgabe des „Fokus Migrationsrecht“ unter anderem über die Entwicklung in Afghanistan berichtet. Das Land kommt auch nach der Machtübernahme im August 2021 nicht zur Ruhe. Während die Taliban ihre Macht festigen, schwinden die Rechte der Menschen, gerade von Frauen, beständig. Zudem kommen Streitigkeiten unter den radikalen Islamisten auf: Der immer wieder mit den Taliban um die Vorherrschaft ringende sogenannte „Islamische Staat“ (IS bzw. DAESH) will sich in Afghanistan ebenfalls eine neue Basis schaffen und den eigenen Einfluss ausbauen. Die Folge des Machtkampfes sind schreckliche Anschläge auf Moscheen in Masar-i-Sharif und in Kabul und nördlich von Kundus sowie eine Schule in der Hauptstadt allein in den letzten Tagen mit über 60 Toten und zahlreichen Verletzten.

Denoch vermag das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) diese neue Sachlage bis heute kaum abschließend zu bewerten und in entsprechende neue Entscheidungen umzusetzen. Auch die Verwaltungsgerichte haben zunächst die unübersichtliche Lage in Afghanistan zum Anlass genommen, laufende Verfahren nicht zu entscheiden. Inzwischen hat sich aber auch das Verwaltungsgericht Osnabrück erstmals nach der Machtübernahme durch die Taliban in mehreren Entscheidungen nach mündlichen Verhandlungen am Montag, 25.4.2022, geäußert und damit seine grundsätzliche Haltung zu diesem Thema öffentlich gemacht.

In einem von Rechtsanwalt Burkhard Wulftange geführten Klageverfahren gegen eine ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat das Verwaltungsgericht Osnabrück für einen erwachsenen Mann aus Afghanistan nun Abschiebungsverbote festgestellt. In einem durch Rechtsanwalt Henning J. Bahr geführten Verfahren um einen sogenannten Asylfolgeantrag (also nach einem zuvor bereits negativ ausgegangenen Verfahren) aus dem Jahr 2020 hatte das BAMF eine erneute Prüfung vollständig abgelehnt. Diesen Bescheid hat das Gericht aufgehoben und die Angelegenheit damit an die Behörde zurückgegeben. Es hat festgehalten, dass die veränderte Lage eine vollständige Neubewertung dessen, was der Kläger vorträgt, erforderlich ist.

Das Gericht hat damit endgültig seine in den letzten Jahren überaus harte Rechtsprechung bezüglich der Schutzbedürftigkeit erwachsener Männer aus Afghanistan zu Recht geändert. Nach der Machtübernahme der Taliban in dem asiatischen Land kann niemand mehr ernsthaft davon ausgehen, dass dort ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Die Lage war dort zuvor schon katastrophal. Seit Jahren wurde Familien mit Kindern und auch alleinstehenden Frauen regelmäßig Schutz gewährt. Nun ist praktisch bundesweit anerkannt, dass man in ein Land, das von Armut, Pandemie und jahrzehntelangem Krieg gebeutelt ist und nun auch noch von religiösen Fanatikern kontrolliert wird, niemanden mehr abschieben kann, wenn man das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ernst nimmt.

Denn § 60 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) verbietet es, Menschen durch eine Abschiebung in die Gefahr einer solchen Behandlung zu versetzen.

Nachdenklich stimmen muss allerdings, dass auch noch wenige Wochen vor der Übernahme der Regierung durch die Taliban Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden, deren Schicksal vollkommen ungewiss ist.