von Rechtsanwalt Henning J. Bahr

 

Der Schlachthof der Fa. Oldenburger Geflügelspezialitäten GmbH & Co. KG in Lohne/Niedersachsen hatte in den vergangenen Jahren durch den Landkreis Vechta das Recht erhalten, bis zu 800.000 m³ Grundwasser für seinen Betriebe zu fördern. Seit dem Jahr 2013 ist von dieser Gesamtmenge ein Teil von 250.000 m³ zwischen dem Naturschutzbund (NABU), der Umweltbehörde und dem Unternehmen umstritten. Bereits im Jahr 2016 konnte der NABU mit meiner Unterstützung Nds. Oberverwaltungsgericht erzielen, der auch vor dem Bundesverwaltungsgericht Bestand hatte: Die im Jahr 2013 erteilte Genehmigung wurde aufgehoben.

Seit dem Jahr 2018 war ein fast gleichlautender Bescheid über die gleiche Fördermenge ergangen. Diesen habe ich wiederum für den NABU vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg angegriffen. Das Verfahren wurde am 12.12.2022 vor der ersten Kammer verhandelt, die den Bescheid erneut aufgehoben hat. In der Pressemitteilung des Gerichts liest sich das wie folgt:

Das Gericht hat dabei eine fehlerhafte Ausübung des wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessens (§ 12 Abs. 2 Wasserhaushaltsgesetz; WHG) durch den Beklagten angenommen. Das Bewirtschaftungsermessen verpflichtet die Behörden dazu, bei ihrer Entscheidung über einen Antrag auf die Genehmigung einer Grundwasserentnahme unter anderem die im Gesetz (§ 6 WHG) niedergelegten allgemeinen Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung zu beachten und hält sie zu einer nachhaltigen, u.a. sparsamen Bewirtschaftung der Wasserkörper an. Damit ist bei der behördlichen Entscheidung grundsätzlich auch die Frage nach der Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit der beabsichtigten Wasserentnahme in den Blick zu nehmen.

Die Kammer ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Beklagte diese Aspekte nicht hinreichend geprüft hat, da der von dem Unternehmen bei der Antragstellung angemeldete Wasserbedarf sich aus dem Bedarf mehrerer selbstständiger Unternehmen zusammensetzt. Diesen Umstand hat der Beklagte bei seiner Entscheidung nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere konnte das Gericht nicht feststellen, dass der Beklagte sich hinsichtlich der nur von dem beigeladenen Unternehmen beantragten Erlaubnis einen vollständigen und zutreffenden Überblick über den Zweck und den Umfang der beantragten Wasserentnahmemenge gemacht hat. Aus der beantragten Wasserentnahmemenge sollte zugleich der Wasserbedarf eines anderen, allerdings nicht am Verfahren beteiligten Unternehmens, das in Lohne ebenfalls Lebensmittel herstellt, gedeckt werden.

Über das Verfahren haben noch andere Medien berichtet:

Die Pressemitteilungen hierzu finden Sie hier:

 

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat am 10.11.2022 in vier Parallelverfahren entschieden, dass die gesetzlichen Krankenkassen nur in ganz speziellen Fällen die Kosten für medizinisches Cannabis zu übernehmen haben. Drei Revisionen wurden zurückgewiesen, nur im Fall meines Mandanten wurde das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) aufgehoben und an das LSG Niedersachsen-Bremen zur weiteren Klärung zurückverwiesen.  Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, ist ein erster Schritt hin zur sicheren Kostenübernahme für Cannabisprodukte durch die Krankenversicherungen erreicht.

Ausgangspunkt

Der Gesetzgeber hat Anfang 2017 eine Neuregelung im 5. Sozialgesetzbuch (SGB V) eingeführt. Nach § 31 Abs.6 SGB V kann seitdem unter bestimmten Voraussetzungen medizinisches Cannabis zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. U.a. besteht nach dieser Norm bei einer schwerwiegenden Erkrankung eines Versicherten ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis, wenn nach begründeter ärztlicher Einschätzung andere Medikamente aufgrund ihrer Nebenwirkungen im konkreten Einzelfall nicht zur Anwendung kommen können.

Dennoch kam es in vielen Fällen dazu, dass die Kassen Anträge auf Genehmigung der Versorgung abgelehnt haben. Entweder wurde eine Erkrankung des Antragstellenden nicht als schwerwiegend genug angesehen, oder es wurde die Begründung des Vertragsarztes für unzureichend gehalten und auf alternative Medikamente verwiesen. Zudem vertraten mehrere Kassen die Auffassung, es müsse zwingend ein formalisiertes BtM-Rezept zur Genehmigung vorgelegt werden und eine vorherige Cannabisabhängigkeit stünde einer Kostenübernahme entgegen.

Der Fall

Mein Mandant, gesetzlich krankenversichert bei der Bahn-BKK, leidet seit Jahren an einer chronischen schwerwiegenden ADHS-Erkrankung. Er ist deshalb nicht mehr in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen und Sozialkontakte aufrecht zu erhalten. Er hatte erfolglos verschiedene ADHS-Medikamente ausprobiert, die keine Besserung bewirkten, sondern vielmehr erhebliche Nebenwirkungen hervorriefen. Der Mandant linderte daraufhin seine Beschwerden mit selbst beschafftem Cannabis.

Nach Inkrafttreten des § 31 Abs.6 SGB V beantragte er im Mai 2017 über seinen behandelnden Arzt bei der Bahn-BKK die Kostenübernahme für medizinisches Cannabis. Die Bahn-BKK lehnte ab und verwies auf anderweitige Therapieoptionen. Der Mandant legte Widerspruch ein. Begleitet von seinem Arzt und trotz dessen Bedenken testete er parallel ein weiteres Medikament, dessen Einnahme zu suizidalen Tendenzen führte und sofort abgebrochen werden musste. Eine ambulante Psychotherapie half dem Mandanten nicht weiter, eine von ihm beantragte stationäre Therapie wurde nicht bewilligt. Dennoch wies die Bahn-BKK den Widerspruch zurück.

Seine Klage wurde vom Sozialgericht Osnabrück (SG) abgewiesen. Das LSG wies seine dagegen eingelegte Berufung zurück. Zur Begründung wurde auf ein fehlendes BtM-Rezept sowie darauf verwiesen, dass nicht alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien.

Auf meine Nichtzulassungsbeschwerde hin ließ das BSG die Revision gegen die LSG-Entscheidung zu.

Mit meiner Revisionsbegründung legte ich dar, dass Bahn-BKK, SG und LSG die Intention des Gesetzgebers missachteten. Ausweislich der Gesetzesbegründung hatte er den Zugang zu medizinischem Cannabis und die ärztliche Therapiehoheit mit § 31 Abs.6 SGB V zu stärken beabsichtigt.

Zusammen mit der Aufhebung der Urteile habe ich beantragt, die Bahn-BKK zu verpflichten, die zukünftigen Kosten für Cannabisblüten zur Linderung des ADHS meines Mandanten zu übernehmen sowie die seit Antragstellung dafür von ihm selbst aufgewendeten Kosten von über 12.000,- € zu erstatten.

Die Entscheidung des BSG vom 10.11.2022

Bereits im Vorfeld des Termins hatte der zuständige Senat angedeutet, einige Klarstellungen zum Text des § 31 Abs.6 SGB V vornehmen zu wollen, damit die Vorschrift für alle Parteien eindeutiger handhabbar wird.

So kam es dann auch: Das BSG nahm in seinen mündlichen Urteilsbegründungen eine Definition für den Begriff „schwerwiegende Erkrankung“ vor und erstellte einen Anforderungskatalog an die „begründete Einschätzung“ der Vertragsärzte, warum nur noch Cannabis in Betracht kommt. Liegen diese Anforderungen vor, so dürfen die Kassen die ärztliche Entscheidung nicht mehr inhaltlich, sondern nur noch auf Plausibilität überprüfen. Deutlich machten die Kasseler Richter auch, dass ein spezielles BtM-Rezept nicht unbedingt erforderlich ist und dass eine vorherige Cannabisabhängigkeit einer Kostenübernahme eben nicht entgegensteht.

Im Fall meines Mandanten entschied das BSG, dass das LSG Niedersachsen-Bremen den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat und verwies das Verfahren daher an das LSG zurück.

Das LSG hat nun herauszuarbeiten, inwieweit der behandelnde Arzt meines Mandanten bei Antragstellung sein Krankheitsbild und die Unbedenklichkeit von Cannabisprodukten bei dessen ADHS erläutert sowie Nebenwirkungen bereits getesteter Medikationen geschildert hat und ob der vom BSG erstellte Anforderungskatalog an die ärztliche begründete Einschätzung nach § 31 Abs.6 SGB V damit von ihm erfüllt wurde. Dazu waren von mir im Verfahren mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt worden, die das LSG jedoch nicht hinreichend gewürdigt hatte.

Kommt das LSG zu dem Schluss, dass alle vom BSG aufgestellten Vorgaben erfüllt sind, wird es die Bahn-BKK antragsgemäß zur Erstattung der von meinem Mandanten verauslagten Kosten und zur künftigen Kostenübernahme für Cannabisblüten zu verurteilen haben.

Was ist von der BSG-Entscheidung zu halten?

Zu begrüßen ist, dass der Senat die frühere Cannabisabhängigkeit nicht als Ausschlusskriterium für eine Kostenübernahme durch die Kassen sieht. Auch der Einschätzung einiger Kassen, es sei zwingend ein BtM-Rezept zur Genehmigung vorzulegen, hat das BSG eine Absage erteilt.

Kritisch zu bewerten ist allerdings, dass das BSG mit seinen strengen Vorgaben an die ärztliche Begründungspflicht den eigentlichen Willen des Gesetzgebers nicht umsetzt, der – wie oben ausgeführt – einen erleichterten Zugang zu medizinischem Cannabis ermöglichen und die ärztliche Therapiefreiheit stärken wollte. Außerdem fordern die Kasseler Richter den behandelnden Ärzten eine Mehrarbeit ab, für die es keine entsprechende Vergütung gibt. Die Abarbeitung des vom BSG für die Begründung der Cannabis-Notwendigkeit konstruierten Anforderungskatalogs bedeutet einen zusätzlichen, nicht unerheblichen Aufwand für die Vertragsärzte, ohne den es aber keine Genehmigung der Krankenkassen geben wird.

Was können betroffene Schwerkranke jetzt tun?

Sobald die Urteile des BSG mit vollständigen Entscheidungsgründen vorliegen, werde ich einen Leitfaden für Patient*innen und Ärzt*innen erstellen, in dem ich die Vorgaben des BSG in Form einer Checkliste zusammenfasse. Damit soll allen Beteiligten ein Tool an die Hand gegeben werden, um einen Antrag auf Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgversprechend und mit möglichst geringem Mehraufwand stellen zu können.

von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

 

In schönster Gerichtssprache heißt es beim OVG Lüneburg im Beschluss vom 29.09.2022 (Az. 2 NB 21/22):

Für ein auf außerkapazitäre Zulassung zum Zwecke des Studienortwechsels gerichtetes einstweiliges Anordnungsverfahren liegt nur dann ausnahmsweise ein Anordnungsgrund vor, wenn ohne den beabsichtigten Wechsel des Studienortes die Fortsetzung der begonnen Ausbildung ernstlich gefährdet ist oder andere zwingende Gründe, insbesondere existentieller Art, einen Ortswechsel rechtfertigen können (hier verneint).

Worum geht es?

Es gibt vielfältige Gründe einen Studienort zu wechseln. In der vorliegenden Konstellation hatte ein Student der Humanmedizin zunächst erfolgreich im Ausland ein Grundstudium absolviert und bewarb sich dann an einer deutschen Universität, um das Hochschulstudium in der Bundesrepublik fortzusetzen. Dabei erhielt er eine Zusage für eine deutsche Universität.

Da er jedoch zwischenzeitlich Vater eines Kindes geworden war und gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in einer anderen Stadt als der Stadt leben wollte (in der er eine Zulassung für das Studium in Deutschland erhalten hatte) bewarb er sich zusätzlich an einer Universität in der Stadt, in der er den Lebensmittelpunkt mit seiner Lebensgefährtin und des Kindes gewählt hatte. Die Lebensgefährtin war berufstätig und ein Umzug in die Stadt der Zulassung kam deshalb für den Antragsteller nicht in Betracht. Bei dem weiteren Antrag auf Zulassung handelte es sich um einen außerkapazitären Härtefallantrag, nachdem dort bereits alle verfügbaren Studienplätze vergeben waren.

Was war besonders schwierig?

Eine Entscheidung in einem Klageverfahren wäre für den Antragsteller im Zweifel zu spät ergangen. Die Verfahrensdauern vor den Verwaltungsgerichten sind teilweise erheblich, sodass mit einer Entscheidung durch das Gericht (auf Zulassung an der Wunschuniversität) nicht rechtzeitig vor Beginn des Semesters erfolgt wäre.

Abhilfe schaffen kann hier ein Eilantrag im vorläufigen Rechtsschutz. In rechtlicher Hinsicht setzt ein erfolgreicher Antrag neben den materiellen Voraussetzungen eines Anspruchs auf den Studienplatz voraus, dass ein Anordnungsgrund vorliegt. Hierbei kommt es darauf an, dass eine Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht werden muss. Das Verwaltungsgericht hatte in der ersten Instanz einen solchen Anordnungsgrund für den Antragsteller abgelehnt, insbesondere mit der Begründung, dass er bereits eine Zulassung an einer anderen Universität in Deutschland erhalten hatte. In parallelen Verfahren hatte das Verwaltungsgericht einen Anordnungsgrund angenommen und den Anträgen teilweise stattgegeben. Dort war hingegen für die Antragsteller:innen keine anderweitige Zulassungsentscheidung einer anderen Universität ergangen.

Die Entscheidung

Das OVG setzte sich in der Entscheidungsbegründung ausführlich mit dem grundgesetzlichen Schutz aus Art. 6 (Familien) und Art. 12 (Berufsfreiheit) auseinander. Auch hat das OVG gewürdigt, dass der Antragsteller gewichtige Gründe gegen einen Wohnortwechsel vorgetragen hatte, namentlich günstigere Mieten, zusätzliche Betreuungsmöglichkeiten für das Kind etc.), ein Sonderfall liege indessen nicht vor.
Insbesondere würdigte das OVG den Umstand, dass eine Wochenendbeziehung des Antragstellers mit seiner Lebensgefährtin auch bereits in der Vergangenheit geführt worden ist und dieser Einwand nun im Rahmen der Prüfung eines außergewöhnlichen Härtefalles nicht berücksichtigt werden könne. Der Antragsteller hatte im Beschwerdeverfahren hierzu vorgetragen, dass die Fahrtkosten im Rahmen einer Wochenendbeziehung zu teuer seien. Auch die Erwartung der Lebensgefährtin, dass der Antragsteller sich umfassend um die Betreuung seines Kindes kümmern solle führt nicht zu einer anders gelagerten Einschätzung.

Was bedeutet dies für Sie?

Im Rahmen von Eilanträgen auf eine Studienplatzzulassung muss der Anordnungsgrund penibel genau vorgetragen werden. Es ist grundsätzlich denkbar (s. o. Leitsatz des Gerichts), dass ein Anspruch auf eine derartige Zulassung bestehen kann. Allgemeine Ausführungen, die kein existentielle Bedrohung glaubhaft machen, sind nicht geeignet einen Anordnungsgrund und die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit zu begründen. Im Ergebnis ist somit stets im Einzelfall zu prüfen und zu erörtern, ob eine entsprechender Antrag erfolgsversprechend gestellt werden kann.

Fragen Sie zu Studenplatzklage und bei anderen Angelegenheiten im Hochschulrecht gern Ihre Experten bei rechtskontor49.

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal aus dem rechtskontor49 ist nicht nur Fachanwalt für Medizin- und Arbeitsrecht, sondern auch Beirat und Vertrauensanwalt des Medizinrechtsanwälte e.V., einer bundesweiten Vereinigung von Anwältinnen und Anwälten, die sich vornehmlich mit der Vertretung von Patienteninteressen im Bereich Arzthaftung befassen. Jede Patientin / jeder Patient hat die Möglichkeit, über den Verein einen Beratungsschein für ein erstes, kostenfreies Orientierungsgespräch mit einem Vertrauensanwalt des Vereins zu erhalten, in dem mögliche Vorgehensweisen bei Behandlungsfehlern besprochen werden.

Der Medizinrechtsanwälte e.V. organisiert zudem mit dem Deutschen Medizinrechtstag einmal im Jahr einen Fachkongress zum patientenbezogenen Medizin- und Sozialrecht. Der nächste Kongress findet am kommenden Freitag, den 30.09.2022 im Novotel Hotel Berlin am Tiergarten statt. Schwerpunkt der Veranstaltung ist die Stärkung der Patientenrechte und wie man sie im Sinne des Koalitionsvertrages umsetzt.

In ihrem Koalitionsvertrag vom 10.12.2021, der mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben ist, führt die „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP auf Seite 87 nämlich aus: „Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Patientinnen und Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen wird eingeführt.“

Passiert ist in dieser Hinsicht seitdem allerdings noch nichts. Der Medizinrechtsanwälte e.V. hat daher ein Positionspapier „Mehr Patientenrechte wagen“ mit konkreten Vorschlägen erarbeitet, das auf dem 22. Deutschen Medizinrechtstag am 30.09.2022 der Öffentlichkeit vorgestellt und zu dem dort eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion stattfinden wird.

Zu den wichtigsten Forderungen des Vereins gehören die Erleichterung des Beweismaßes bei Behandlungsfehlern, die Einführung eines taggenauen Schmerzensgeldes und die Einführung eines Härtefallfonds für Großschäden.

Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Stefan Schwartze wird beim 22. Deutschen Medizinrechtstag anwesend sein. Die Ergebnisse der Diskussion wird der Medizinrechtsanwälte e.V. sodann den politischen Gremien des Bundes als Anregung für dringend notwendige gesetzliche Initiativen übergeben.

Ein Bericht vom 22. Deutschen Medizinrechtstag aus Berlin folgt in Kürze.

Sollten Sie den Verdacht haben, Opfer eines ärztlichen Behandlungsfehlers geworden zu sein oder sollte es Angehörigen, Freunden oder Bekannten so ergangen sein, fordern Sie gern einen Beratungsschein über www.medizinrechtsanwaelte.de an oder melden Sie sich direkt im rechtskontor49 bei Rechtsanwalt Laue-Ogal.

von Rechtsanwalt Burkhard Wulftange

 

Gute Nachrichten für Radfahrende. Das LG Köln (Az. 5 O 372/20) hat den einzuhaltenden Sicherheitsabstand für Radfahrende beim Vorbeifahren an stehenden Autos mit 50 cm für ausreichend erachtet. Nach Ansicht des LG Köln ist ein Abstand von 50 cm auch dann ausreichend, wenn für den Radfahrenden erkennbar war, dass sich die Fahrertür plötzlich öffnen könnte, da das Auto erst kurz zuvor eingeparkt und die Fahrertür bereits einen Spalt bereit geöffnet habe. Ebenso begründe auch flottes Radeln (über 30 km/h) keine Mithaftung, solange und soweit die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritte werde.

Damit steht nach Ansicht des LG Köln fest, dass ein Autofahrer immer dann einen sog. Dooring-Unfall durch grobe Unachtsamkeit allein verursacht hat, wenn Radfahrende beim Vorbeifahren an stehenden PKW die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschreiten und einen Sicherheitsabstand einhalten, welcher der Verkehrslage und der Breite der Straße in angemessener Weise Rechnung trägt, was in der konkreten Einzelfallentscheidung mit mindestens 50 cm der Fall war.

In vorherigen Urteilen zu sog. Dooring-Unfällen galt nach ständiger Rechtsprechung sprach auch schon zuvor der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Autofahrer den Unfall verschuldet habe, weil eine Kollision mit dem Fahrrad im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür erfolgt war. Gemäß § 14 Abs. 1 StVO müssen sich Autofahrer dabei nämlich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Allerdings wurde Radfahrenden immer wieder mangels hinreichendem Seitenabstand eine Mitschuld auferlegt. Zum Teil wurde sogar ein Sicherheitsabstand für erforderlich gehalten, der das vollständige Öffnen der Autotür ermöglicht hätte. Ein teilschuldbegründender zu geringer Seitenabstand ergab sich dann also allein aus dem Umstand, dass es überhaupt zu einer Kollision gekommen war.

Sofern es die jeweiligen verkehrstechnischen Umstände des Einzelfalls zulassen, sollten Radfahrende nach wie vor schon aus Selbstschutzgründen einen möglichst großen Seitenabstand von mindestens einer vollständig geöffneten Türbreite zu stehenden PKW einhalten, um Dooring-Unfälle nach Möglichkeit zu vermeiden.  Wenn die Straßenverhältnisse und die Verkehrslage einen derartigen Abstand allerdings nicht ermöglicht und es zu einem Dooring-Unfall kommt,  werden nach Ansicht des LG Köln Radfahrende jedenfalls dann nicht mit einer Teilschuld belastet, sofern zumindest 50 cm  Seitenabstand eingehalten wurden. Und zwar auch dann nicht, wenn sie flott unterwegs sind und eine sich öffnende Tür durchaus vorhersehbar war.

Inwieweit sich auch andere Gerichte bei vergleichbaren Sachverhalten von diese Einzelfallentscheidung leiten lassen, bleibt indes abzuwarten.

von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

 

„Eine Abmahnung ist [..] nicht grundsätzlich deshalb unverhältnismäßig, weil nur ein leichter Pflichtverstoß vorliegt und zuvor keine einschlägige Ermahnung oder Rüge als milderes Mittel erteilt wurde.“

Landesarbeitsgericht Sachsen, Urt. v. 7.4.2022 – 9 Sa 250/21

 

Häufig streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht um die Wirksamkeit einer außerordentlichen (fristlosen) Kündigung. Das auch vermeintlich leichte Fehlverhalten zu der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses führen können, hat das Landesarbeitsgericht Sachsen kürzlich bestätigt.

Die Beteiligten stritten in zweiter Instanz um die Wirksamkeit einer ordentlichen (also fristgebunden) verhaltensbedingten Kündigung. Das Landesarbeitsgericht hat letztendlich festgestellt, dass die Kündigung wirksam war. Die Arbeitnehmerin war 51 Jahre alt, war drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet und seit ca. 5 Jahren im Unternehmen der Arbeitgeberin beschäftigt. Das Kündigungsschutzgesetz fand Anwendung.

Es gab im Unternehmen eine Richtlinie für eine aufgeräumte Arbeitsumgebung und Bildschirmsperren. Darin waren Regelungen zur Geheimhaltung enthalten, die etwa vorsehen Passwörter zu schützen, geheime Unterlagen in einer abschließbaren Schreibtischschublade aufzubewaren und beim Verlassen des Arbeitsplatzes den Computer zu sperren.

Wegen vorangegangener Ungenauigkeiten wurde die Arbeitnehmerin bereits wiederholt ermahnt und zur gewissenhaften Arbeit angehalten. Im weiteren Verlauf wurde der Arbeitnehmerin eine Abmahnung ausgesprochen, weil (andere) verhältnismäßig leichte Pflichtverstöße vorgekommen waren.

Schließlich verstieß die Arbeitnehmerin gegen die aufgestellte Richtlinie, sodass potentiell die Möglichkeit bestand, dass sensible Daten, die sich auf dem Schreibtisch der Arbeitnehmerin befunden haben, durch Dritte eingesehen werden konnten. Nachlässigkeiten zeigte die Arbeitnehmerin in der Folge ebenfalls und verstieß gegen die Richtlinie der Arbeitgeberin. Es folgten weitere Verstöße gegen die Richtlinie, die nach mehreren weiteren Abmahnungen zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung führte. Die Arbeitnehmerin wandte sich uA gegen die Kündigung mit der Begründung, dass ihr der Vorwurf für rechtswidriges Verhalten von Dritten (hier die unberechtigte Einsichtnahme in die von der Arbeitnehmerin bearbeiteten Dokumente) vorgeworfen werden könne.

Dies sah das Landesarbeitsgericht anders:

„Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände, die bei verständiger Würdigung un Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine schuldhafte, vorwerfbare und rechts- oder vertragswidrige Verletzung von Haupt- und Nebenleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis geeignet.“

Das Landesarbeitsgericht hat hervorgehoben, dass eine (ordentliche) Kündigung stets verhältnismäßig sein müsse, also das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen müsse, wegen der wiederholten vorangegangen Abmahnungen sei ein Festhalten am Vertrag für die Arbeitgeberin jedoch nicht zumutbar gewesen.

Vor dem Hintergrund, dass die Arbeitnehmerin sensible Daten unverschlossen im Schreibtisch aufbewahrte, obschon sie wiederholt abgemahnt worden war und ihr die Richtlinie bekannt war, ist die Kündigung hier als verhältnismäßig gewertet worden.

Der Fall zeigt im Ergebnis, dass auch – auf den ersten Blick – nicht gravierende Pflichtverstöße zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses führen können.  

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Patientin stirbt an Hirnödem nach Knöchel-OP

Nach Eingriffen in Vollnarkose ist das EKG-Monitoring im Aufwachraum fachärztlicher Standard. Eine Klinik im Osnabrücker Land unterließ diese Überwachung und übersah bei einer Patientin eintretende Atem- und Kreislaufstörungen. Die Patientin erlitt daraufhin einen Hirnschaden, an dem sie vier Tage später verstarb. Die Klinik muss jetzt den Kindern der verstorbenen Frau den Großteil der Kosten für die Beerdigung bezahlen.

Was war passiert?

Eine 58jährige Patientin, die gerade eine Knöchel-OP in Vollnarkose hinter sich hatte, verlor nach dem Aufwachen aus der Narkose das Bewusstsein. Trotzdem unterließ es der Anästhesiepfleger zunächst, sie im Aufwachraum an das EKG-Monitoring anzuschließen. Die Patientin erlitt einen Kreislaufzusammenbruch mit Sauerstoffmangel, der über mindestens 10 Minuten andauerte. Der Pfleger erkannte die Situation zu spät. Zwar konnte die von ihm alarmierte Ärztin die Patientin stabilisieren, es trat wegen der fehlenden Sauerstoffversorgung jedoch ein Hirnödem auf. Die Patientin erlangte das Bewusstsein nicht zurück und verstarb vier Tage später an dem Hirnödem.

Die Kinder der Patientin nahmen die Klinik, die behandelnden Ärzte und den diensthabenden Pfleger auf Erstattung der Beerdigungskosten für ihre Mutter vor dem Landgericht Osnabrück in Anspruch. Dort wurde nach Anhörung der Beklagten und des vom Gericht beauftragten Sachverständigen ein Vergleich geschlossen, nach dem die Klinik nahezu die vollen eingeklagten Kosten erstatten muss.

Was sagte der Sachverständige?

In der frühen postoperativen Phase müssen mögliche Probleme wie Atem- und Kreislaufstörungen, Nachblutungen oder verlängerte Medikamentenwirkung nach einem Eingriff rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Um dies zu gewährleisten, wird die intraoperative Überwachung der Vitalparameter im Aufwachraum fortgeführt. Das bedeutet: Puls, Blutdruck, EKG, Sauerstoffsättigung im Blut und Temperatur werden kontinuierlich weiter überwacht.

Der mitverklagte Anästhesiepfleger gab in der Verhandlung beim Landgericht jedoch an, es habe seitens der Geschäftsleitung die Anweisung gegeben, nur bei herzkranken Patienten ein EKG anzuschließen. Das sei bei der später verstorbenen Patientin nicht der Fall gewesen.

Der Sachverständige, der schon die unvollständige und widersprüchliche Dokumentation der Klinik kritisiert hatte, zeigte sich geradezu schockiert von diesen Angaben. Eine solche Weisung widerspreche fundamental den Standards der medizinischen Fachgesellschaften. Das müssten auch die Ärzte und Pfleger wissen, so der Gutachter. Er erklärte weiterhin, es sei sehr wahrscheinlich, dass die verstobene Patientin noch leben würde, wenn man sich an die Standards gehalten und sie im Aufwachraum korrekt überwacht hätte.

Daraufhin schlossen die Parteien auf dringendes Anraten des Gerichts einen Vergleich, nach dem die Klinik den Kindern der Patientin etwa 94 % der eingeklagten Kosten zu erstatten hat.

Warum kein Schmerzensgeld?

Nach deutschem Recht konnte zum Zeitpunkt der Vorfälle nur ein von Behandlungsfehlern selbst betroffener Mensch eine Kompensation für sein persönliches Leiden verlangen. Angehörige waren – mit Ausnahme des sogenannten „Schockschadens“ – nicht berechtigt, für den Tod einer nahen Angehörigen einen Ausgleich zu verlangen. Hier verlor die Patientin das Bewusstsein und hatte bis zu ihrem Tod kein Leid zu ertragen. Deshalb konnte im Prozess vor dem Landgericht Osnabrück nur die Erstattung der Beerdigungskosten erstritten werden.

Dieses Ergebnis ist unerträglich und zynisch, es entsprach aber der damaligen deutschen Rechtsprechung und Gesetzeslage.

Erst mit Wirkung zum 22.07.2017 hat der deutsche Gesetzgeber – auch vor dem Hintergrund des germanwings-Flugzeugabsturzes aus dem Jahr 2015 – mit § 844 Abs.3 BGB eine neue Vorschrift eingeführt. Seitdem haben Hinterbliebene, die mit der getöteten Person in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, in erster Linie also deren Ehegatten, Lebenspartner, Kinder oder Eltern, Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Als Richtschnur für die Höhe dieses Hinterbliebenengeldes ist in der Gesetzesbegründung ein Betrag von 10.000,- € vorgesehen. Bislang gibt es noch relativ wenig Rechtsprechung zu dieser neuen Regelung. In einem Einzelfall hat eine Witwe vom LG Tübingen 12.000,- € zugesprochen bekommen.

Wie geht es weiter?

Im rechtskontor49 bearbeitet Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal als Fachanwalt für Medizinrecht die Anfragen aus dem Arzthaftungsrecht. Sollten also sie selbst oder ein/e Angehörige/r den Verdacht haben, dass ein Behandlungsfehler passiert und es dadurch zu einem gesundheitlichen Schaden – im schlimmsten Fall mit Todesfolge – gekommen ist, melden Sie sich gern bei uns.

Was macht ein Rechtsanwalt eigentlich, wenn nicht für Ihr Recht kämpft? Wenig überraschend überschneiden sich die Interessen unserer Anwälten mit den Hobbies, denen Sie in der Freizeit nachgehen. Heute möchten wir von einer unserer Freizeitaktivitäten berichten.

Die Begeisterung und unser Einsatz für das Fahrradrecht kommen nicht von ungefähr. Die Rechtsanwälte Dustin Hirschmeier, Timm Laue-Ogal und Burkhard Wulftange zählen zu den passionierten Rennradfahrern.

Am 30.07.2022 ist das rechtskontor49 Cycling Team geschlossen der Einladung des TuS Engter e.V. gefolgt und hat an der 42. RTF-Wadenkneifer teilgenommen. Wir hatten viel Spaß und möchten uns auch auf diesem Weg noch einmal für die ausgezeichnete Organisation, super Stimmung und Verpflegung bedanken. Im kommenden Jahr werden wir sicher wieder die Höhenmeter angreifen.

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

Das neue Nachweisgesetz – vom Papiertiger zum Bußgeldrisiko

Das Nachweisgesetz führte bislang ein Schattendasein in Deutschland. Es befasst sich mit den Vertragsbedingungen, die der Arbeitgeber seinen Beschäftigten auf deren Anforderung hin mitzuteilen hat. Verstöße durch den Arbeitgeber wurden nicht sanktioniert. Das ändert sich schon ab dem 01.08.2022: Künftig kann aber bei einem Verstoß gegen das Nachweisgesetz ein Bußgeld von bis zu 2.000 Euro pro Verstoß fällig werden.

Wie kam es dazu?

Der deutsche Gesetzgeber hat eine von der EU vorgegebene Vorgabe umgesetzt, und das sogar pünktlich. In der EU-Richtlinie zu transparenten Arbeitsbedingungen wird gefordert, dass die Mitgliedstaaten bis zum 31.07.2022 Vorgaben für Arbeitsvertragsklauseln umsetzen. Bislang hat Deutschland solche Fristen gerne einmal verstreichen lassen und deshalb Bußgelder an die EU bezahlt. Hier aber passierte die Änderung des Nachweisgesetzes den Bundestag ziemlich fix. Die Neuregelung gilt also ab dem 01.08.2022!

Der Vorher-Nachher-Vergleich

Das Nachweisgesetz hat in seinem § 2 Abs. 1 S. 1 bislang nur geregelt, dass Arbeitgeber die wichtigsten Vertragsbedingungen binnen eines Monats nach Beginn des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer auf Anforderung mitzuteilen haben. Hierbei handelt es sich nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG um folgende Punkte:

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien (Nr. 1)
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses (Nr. 2)
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung (Nr. 3)
  • Arbeitsort (Nr. 4)
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit (Nr. 5)
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts (Nr. 6)
  • Arbeitszeit (Nr. 7)
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs (Nr. 8)
  • Kündigungsfristen (Nr. 9)
  • Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind (Nr. 10).

Ab dem 1. August 2022 aber müssen nach dem geänderten Gesetz zusätzlich folgende Vertragsbedingungen schriftlich niedergelegt werden:

  • Bei befristeten Arbeitsverhältnissen: Enddatum des Arbeitsverhältnisses (Nr. 3)
  • freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer (Nr. 4)
  • Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit (Nr. 6 neu)
  • Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung (Nr. 6 alt, Nr. 7 neu)
  • Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen (Nr. 7 alt, Nr. 8 neu)
  • Regelungen bei Arbeit auf Abruf nach § 12 TzBfG (Nr. 9 neu)
  • Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen (Nr. 10 neu)
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildungen (Nr. 12 neu)
  • Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers – die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist (Nr. 13 neu)
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Wird über die 3-Wochen-Frist nicht informiert, ist die Kündigungsschutzklage allerdings trotzdem verspätet (Nr. 9 alt, Nr. 14 neu).

Neu im Nachweisgesetz ist zudem, dass Arbeitgeber bereits am ersten Arbeitstag neuen Arbeitnehmern einen Teil der Informationen (Name und Anschrift der Vertragsparteien, Arbeitsentgelt und Überstunden, Arbeitszeit) schriftlich auszuhändigen haben. Weitere Informationen (insbes. Beginn des Arbeitsverhältnisses, ggf. Befristung, Arbeitsort, Tätigkeitsbeschreibung und Überstunden) müssen innerhalb von sieben Tagen nachgereicht werden. Für die übrigen Informationen hat der Arbeitgeber einen Monat Zeit.

Nach § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG n.F. hat der Arbeitgeber schließlich die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses innerhalb obiger Fristen

„schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen“.

Daraus ergibt sich, dass für den Nachweis der im NachwG gelisteten Vertragsbedingungen die Schriftform gefordert wird und die elektronische Form nicht ausreichend ist.

Für wen gelten die Änderungen?

Die neuen Nachweispflichten gelten unmittelbar gegenüber allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihr Beschäftigungsverhältnis am 1. August 2022 beginnen.

Verträge von Mitarbeitenden, die bereits vor dem 1. August 2022 beschäftigt waren, bleiben hingegen unverändert. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben durch das neue Nachweisgesetz allerdings das Recht, ihren Arbeitgeber dazu aufzufordern, ihnen die neuen Informationen mitzuteilen. Dieser muss dann grundsätzlich innerhalb von sieben Tagen reagieren und bereits die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich aushändigen.

Weitere Informationen etwa über das Kündigungsverfahren, den Urlaub, die betriebliche Altersversorgung oder Fortbildungen müssen spätestens innerhalb eines Monats bereitgestellt werden. Das kann jeweils auch durch ein Informationsblatt geschehen, das aber ebenfalls in Schriftform ausgehändigt werden muss.

Was ist jetzt zu tun?

Die Politik ging davon aus, dass nur etwas 10 % der Unternehmen Änderungsbedarf aufgrund der neuen Vorgaben des Nachweisgesetzes haben werden.

Das dürfte ein fulminanter Irrtum sein. Tatsächlich werden die allermeisten Arbeitgeber ihre Arbeitsvertragsformulare um die zusätzlichen Bedingungen ergänzen und ein Informationsblatt dazu erstellen müssen. Nur so kann verhindert werden, der Gefahr eines Bußgeldes zu entgehen. Natürlich gilt auch hier der Grundsatz: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Wenn aber Beschäftigte ihre Arbeitsbedingungen anfordern, sollte jeder Arbeitgeber sich gut vorbereitet haben. Gerade die Vorgaben zur transparenten Regelung der Anordnung und Vergütung von Überstunden dürften für viele Angestellte von großem Interesse sein.

Wie können wir Ihnen helfen?

Im rechtskontor49 beraten Sie die Rechtsanwälte Timm Laue-Ogal und Dustin Hirschmeier zu allen Fragen der Arbeitsvertragsgestaltung. Melden Sie sich gern bei uns, wenn Sie als Arbeitgeber Klärungs- und Ergänzungsbedarf haben.

Und bitte achten Sie darauf: Es ist nicht mehr viel Zeit bis zum 01.08.2022!