von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

In seinem Urteil vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 245/19) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung zum Resturlaub bei Krankheit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) angepasst.

Der Fall

Es ging um die Klage eines Fraport-Frachtfahrers. Der Mann war von Dezember 2014 bis August 2019 voll erwerbsgemindert und somit arbeitsunfähig. Nach Rückkehr an seinen Arbeitsplatz forderte er seinen Resturlaub aus 2014 ein.

Der Arbeitgeber berief sich auf die bisherige Rechtsprechung des BAG, nach der restliche Urlaubsansprüche eines Kalenderjahres bei dauerhafter Erkrankung mit Ablauf des 31. März des übernächsten Jahres verfallen.

Das Urteil

Erst vor kurzem hat das BAG entschieden, dass restliche Urlaubsansprüche aus den Vorjahren ansonsten nur dann erlöschen, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich darauf hingewiesen und der Arbeitnehmer trotzdem seinen Resturlaub nicht beantragt hatte.

Nach dem neuen Urteil des BAG – der eine Vorabentscheidung des EuGH vorausgegangen war – gelten diese Grundsätze so ähnlich auch für nicht genommenen Urlaub vor einer längeren Krankheit.

Wenn der Arbeitnehmer im Laufe des Jahres, in dem er krank wurde, längere Zeit gearbeitet hatte, und der Arbeitgeber ihn nicht in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, dann bleibt der Resturlaub für dieses Jahr bestehen, so das BAG. Der Arbeitgeber des Frachtfahrers hatte im Jahr 2014 nicht angeregt, dass der Frachtfahrer bis Ende November zumindest einen Großteil seines Jahresurlaubs nimmt. Das hält das BAG für eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten. Deshalb sei der restliche Urlaub aus 2014 nicht verfallen.

Im Ergebnis durfte der Fahrer also auch im Jahr 2019 noch seinen restlichen Urlaub aus 2014 nehmen.

Die Folgen für Sie

Arbeitnehmer, die länger arbeitsunfähig erkrankt waren, sollten überprüfen, ob ihnen noch restliche Urlaubstage aus dem Jahr zustehen, in dem die Erwerbsunfähigkeit begann. Hat der Arbeitgeber keine Hinweise erteilt, dass Urlaubsansprüche möglichst im Laufe des Jahres nach und nach zu beantragen sind, könnte ein Anspruch auf Resturlaub (oder Abgeltung) noch bestehen.

Für Arbeitgeber bedeutet das BAG-Urteil, künftig idealerweise mit einer frühzeitigen Jahresurlaubs-planung dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten keine Resturlaubsansprüche anhäufen, die ggfs. bei längerer Krankheit eines Mitarbeiters noch erheblich später zu gewähren oder zu vergüten sind.

 

Lassen Sie sich durch die Arbeitsrechtsexperten bei rechtskontor49 beraten, wie Sie auf die neue Linie der Rechtsprechung am besten reagieren.

rechtskontor49 geht in die Weihnachtspause – ab dem 2.1.2023 sind wir wieder für Sie da!

Wir wünschen schöne Feiertage und einen guten Rutsch!

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat am 10.11.2022 in vier Parallelverfahren entschieden, dass die gesetzlichen Krankenkassen nur in ganz speziellen Fällen die Kosten für medizinisches Cannabis zu übernehmen haben. Drei Revisionen wurden zurückgewiesen, nur im Fall meines Mandanten wurde das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) aufgehoben und an das LSG Niedersachsen-Bremen zur weiteren Klärung zurückverwiesen.  Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, ist ein erster Schritt hin zur sicheren Kostenübernahme für Cannabisprodukte durch die Krankenversicherungen erreicht.

Ausgangspunkt

Der Gesetzgeber hat Anfang 2017 eine Neuregelung im 5. Sozialgesetzbuch (SGB V) eingeführt. Nach § 31 Abs.6 SGB V kann seitdem unter bestimmten Voraussetzungen medizinisches Cannabis zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. U.a. besteht nach dieser Norm bei einer schwerwiegenden Erkrankung eines Versicherten ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis, wenn nach begründeter ärztlicher Einschätzung andere Medikamente aufgrund ihrer Nebenwirkungen im konkreten Einzelfall nicht zur Anwendung kommen können.

Dennoch kam es in vielen Fällen dazu, dass die Kassen Anträge auf Genehmigung der Versorgung abgelehnt haben. Entweder wurde eine Erkrankung des Antragstellenden nicht als schwerwiegend genug angesehen, oder es wurde die Begründung des Vertragsarztes für unzureichend gehalten und auf alternative Medikamente verwiesen. Zudem vertraten mehrere Kassen die Auffassung, es müsse zwingend ein formalisiertes BtM-Rezept zur Genehmigung vorgelegt werden und eine vorherige Cannabisabhängigkeit stünde einer Kostenübernahme entgegen.

Der Fall

Mein Mandant, gesetzlich krankenversichert bei der Bahn-BKK, leidet seit Jahren an einer chronischen schwerwiegenden ADHS-Erkrankung. Er ist deshalb nicht mehr in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen und Sozialkontakte aufrecht zu erhalten. Er hatte erfolglos verschiedene ADHS-Medikamente ausprobiert, die keine Besserung bewirkten, sondern vielmehr erhebliche Nebenwirkungen hervorriefen. Der Mandant linderte daraufhin seine Beschwerden mit selbst beschafftem Cannabis.

Nach Inkrafttreten des § 31 Abs.6 SGB V beantragte er im Mai 2017 über seinen behandelnden Arzt bei der Bahn-BKK die Kostenübernahme für medizinisches Cannabis. Die Bahn-BKK lehnte ab und verwies auf anderweitige Therapieoptionen. Der Mandant legte Widerspruch ein. Begleitet von seinem Arzt und trotz dessen Bedenken testete er parallel ein weiteres Medikament, dessen Einnahme zu suizidalen Tendenzen führte und sofort abgebrochen werden musste. Eine ambulante Psychotherapie half dem Mandanten nicht weiter, eine von ihm beantragte stationäre Therapie wurde nicht bewilligt. Dennoch wies die Bahn-BKK den Widerspruch zurück.

Seine Klage wurde vom Sozialgericht Osnabrück (SG) abgewiesen. Das LSG wies seine dagegen eingelegte Berufung zurück. Zur Begründung wurde auf ein fehlendes BtM-Rezept sowie darauf verwiesen, dass nicht alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien.

Auf meine Nichtzulassungsbeschwerde hin ließ das BSG die Revision gegen die LSG-Entscheidung zu.

Mit meiner Revisionsbegründung legte ich dar, dass Bahn-BKK, SG und LSG die Intention des Gesetzgebers missachteten. Ausweislich der Gesetzesbegründung hatte er den Zugang zu medizinischem Cannabis und die ärztliche Therapiehoheit mit § 31 Abs.6 SGB V zu stärken beabsichtigt.

Zusammen mit der Aufhebung der Urteile habe ich beantragt, die Bahn-BKK zu verpflichten, die zukünftigen Kosten für Cannabisblüten zur Linderung des ADHS meines Mandanten zu übernehmen sowie die seit Antragstellung dafür von ihm selbst aufgewendeten Kosten von über 12.000,- € zu erstatten.

Die Entscheidung des BSG vom 10.11.2022

Bereits im Vorfeld des Termins hatte der zuständige Senat angedeutet, einige Klarstellungen zum Text des § 31 Abs.6 SGB V vornehmen zu wollen, damit die Vorschrift für alle Parteien eindeutiger handhabbar wird.

So kam es dann auch: Das BSG nahm in seinen mündlichen Urteilsbegründungen eine Definition für den Begriff „schwerwiegende Erkrankung“ vor und erstellte einen Anforderungskatalog an die „begründete Einschätzung“ der Vertragsärzte, warum nur noch Cannabis in Betracht kommt. Liegen diese Anforderungen vor, so dürfen die Kassen die ärztliche Entscheidung nicht mehr inhaltlich, sondern nur noch auf Plausibilität überprüfen. Deutlich machten die Kasseler Richter auch, dass ein spezielles BtM-Rezept nicht unbedingt erforderlich ist und dass eine vorherige Cannabisabhängigkeit einer Kostenübernahme eben nicht entgegensteht.

Im Fall meines Mandanten entschied das BSG, dass das LSG Niedersachsen-Bremen den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat und verwies das Verfahren daher an das LSG zurück.

Das LSG hat nun herauszuarbeiten, inwieweit der behandelnde Arzt meines Mandanten bei Antragstellung sein Krankheitsbild und die Unbedenklichkeit von Cannabisprodukten bei dessen ADHS erläutert sowie Nebenwirkungen bereits getesteter Medikationen geschildert hat und ob der vom BSG erstellte Anforderungskatalog an die ärztliche begründete Einschätzung nach § 31 Abs.6 SGB V damit von ihm erfüllt wurde. Dazu waren von mir im Verfahren mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt worden, die das LSG jedoch nicht hinreichend gewürdigt hatte.

Kommt das LSG zu dem Schluss, dass alle vom BSG aufgestellten Vorgaben erfüllt sind, wird es die Bahn-BKK antragsgemäß zur Erstattung der von meinem Mandanten verauslagten Kosten und zur künftigen Kostenübernahme für Cannabisblüten zu verurteilen haben.

Was ist von der BSG-Entscheidung zu halten?

Zu begrüßen ist, dass der Senat die frühere Cannabisabhängigkeit nicht als Ausschlusskriterium für eine Kostenübernahme durch die Kassen sieht. Auch der Einschätzung einiger Kassen, es sei zwingend ein BtM-Rezept zur Genehmigung vorzulegen, hat das BSG eine Absage erteilt.

Kritisch zu bewerten ist allerdings, dass das BSG mit seinen strengen Vorgaben an die ärztliche Begründungspflicht den eigentlichen Willen des Gesetzgebers nicht umsetzt, der – wie oben ausgeführt – einen erleichterten Zugang zu medizinischem Cannabis ermöglichen und die ärztliche Therapiefreiheit stärken wollte. Außerdem fordern die Kasseler Richter den behandelnden Ärzten eine Mehrarbeit ab, für die es keine entsprechende Vergütung gibt. Die Abarbeitung des vom BSG für die Begründung der Cannabis-Notwendigkeit konstruierten Anforderungskatalogs bedeutet einen zusätzlichen, nicht unerheblichen Aufwand für die Vertragsärzte, ohne den es aber keine Genehmigung der Krankenkassen geben wird.

Was können betroffene Schwerkranke jetzt tun?

Sobald die Urteile des BSG mit vollständigen Entscheidungsgründen vorliegen, werde ich einen Leitfaden für Patient*innen und Ärzt*innen erstellen, in dem ich die Vorgaben des BSG in Form einer Checkliste zusammenfasse. Damit soll allen Beteiligten ein Tool an die Hand gegeben werden, um einen Antrag auf Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgversprechend und mit möglichst geringem Mehraufwand stellen zu können.

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal aus dem rechtskontor49 ist nicht nur Fachanwalt für Medizin- und Arbeitsrecht, sondern auch Beirat und Vertrauensanwalt des Medizinrechtsanwälte e.V., einer bundesweiten Vereinigung von Anwältinnen und Anwälten, die sich vornehmlich mit der Vertretung von Patienteninteressen im Bereich Arzthaftung befassen. Jede Patientin / jeder Patient hat die Möglichkeit, über den Verein einen Beratungsschein für ein erstes, kostenfreies Orientierungsgespräch mit einem Vertrauensanwalt des Vereins zu erhalten, in dem mögliche Vorgehensweisen bei Behandlungsfehlern besprochen werden.

Der Medizinrechtsanwälte e.V. organisiert zudem mit dem Deutschen Medizinrechtstag einmal im Jahr einen Fachkongress zum patientenbezogenen Medizin- und Sozialrecht. Der nächste Kongress findet am kommenden Freitag, den 30.09.2022 im Novotel Hotel Berlin am Tiergarten statt. Schwerpunkt der Veranstaltung ist die Stärkung der Patientenrechte und wie man sie im Sinne des Koalitionsvertrages umsetzt.

In ihrem Koalitionsvertrag vom 10.12.2021, der mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben ist, führt die „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP auf Seite 87 nämlich aus: „Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Patientinnen und Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen wird eingeführt.“

Passiert ist in dieser Hinsicht seitdem allerdings noch nichts. Der Medizinrechtsanwälte e.V. hat daher ein Positionspapier „Mehr Patientenrechte wagen“ mit konkreten Vorschlägen erarbeitet, das auf dem 22. Deutschen Medizinrechtstag am 30.09.2022 der Öffentlichkeit vorgestellt und zu dem dort eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion stattfinden wird.

Zu den wichtigsten Forderungen des Vereins gehören die Erleichterung des Beweismaßes bei Behandlungsfehlern, die Einführung eines taggenauen Schmerzensgeldes und die Einführung eines Härtefallfonds für Großschäden.

Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Stefan Schwartze wird beim 22. Deutschen Medizinrechtstag anwesend sein. Die Ergebnisse der Diskussion wird der Medizinrechtsanwälte e.V. sodann den politischen Gremien des Bundes als Anregung für dringend notwendige gesetzliche Initiativen übergeben.

Ein Bericht vom 22. Deutschen Medizinrechtstag aus Berlin folgt in Kürze.

Sollten Sie den Verdacht haben, Opfer eines ärztlichen Behandlungsfehlers geworden zu sein oder sollte es Angehörigen, Freunden oder Bekannten so ergangen sein, fordern Sie gern einen Beratungsschein über www.medizinrechtsanwaelte.de an oder melden Sie sich direkt im rechtskontor49 bei Rechtsanwalt Laue-Ogal.

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Patientin stirbt an Hirnödem nach Knöchel-OP

Nach Eingriffen in Vollnarkose ist das EKG-Monitoring im Aufwachraum fachärztlicher Standard. Eine Klinik im Osnabrücker Land unterließ diese Überwachung und übersah bei einer Patientin eintretende Atem- und Kreislaufstörungen. Die Patientin erlitt daraufhin einen Hirnschaden, an dem sie vier Tage später verstarb. Die Klinik muss jetzt den Kindern der verstorbenen Frau den Großteil der Kosten für die Beerdigung bezahlen.

Was war passiert?

Eine 58jährige Patientin, die gerade eine Knöchel-OP in Vollnarkose hinter sich hatte, verlor nach dem Aufwachen aus der Narkose das Bewusstsein. Trotzdem unterließ es der Anästhesiepfleger zunächst, sie im Aufwachraum an das EKG-Monitoring anzuschließen. Die Patientin erlitt einen Kreislaufzusammenbruch mit Sauerstoffmangel, der über mindestens 10 Minuten andauerte. Der Pfleger erkannte die Situation zu spät. Zwar konnte die von ihm alarmierte Ärztin die Patientin stabilisieren, es trat wegen der fehlenden Sauerstoffversorgung jedoch ein Hirnödem auf. Die Patientin erlangte das Bewusstsein nicht zurück und verstarb vier Tage später an dem Hirnödem.

Die Kinder der Patientin nahmen die Klinik, die behandelnden Ärzte und den diensthabenden Pfleger auf Erstattung der Beerdigungskosten für ihre Mutter vor dem Landgericht Osnabrück in Anspruch. Dort wurde nach Anhörung der Beklagten und des vom Gericht beauftragten Sachverständigen ein Vergleich geschlossen, nach dem die Klinik nahezu die vollen eingeklagten Kosten erstatten muss.

Was sagte der Sachverständige?

In der frühen postoperativen Phase müssen mögliche Probleme wie Atem- und Kreislaufstörungen, Nachblutungen oder verlängerte Medikamentenwirkung nach einem Eingriff rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Um dies zu gewährleisten, wird die intraoperative Überwachung der Vitalparameter im Aufwachraum fortgeführt. Das bedeutet: Puls, Blutdruck, EKG, Sauerstoffsättigung im Blut und Temperatur werden kontinuierlich weiter überwacht.

Der mitverklagte Anästhesiepfleger gab in der Verhandlung beim Landgericht jedoch an, es habe seitens der Geschäftsleitung die Anweisung gegeben, nur bei herzkranken Patienten ein EKG anzuschließen. Das sei bei der später verstorbenen Patientin nicht der Fall gewesen.

Der Sachverständige, der schon die unvollständige und widersprüchliche Dokumentation der Klinik kritisiert hatte, zeigte sich geradezu schockiert von diesen Angaben. Eine solche Weisung widerspreche fundamental den Standards der medizinischen Fachgesellschaften. Das müssten auch die Ärzte und Pfleger wissen, so der Gutachter. Er erklärte weiterhin, es sei sehr wahrscheinlich, dass die verstobene Patientin noch leben würde, wenn man sich an die Standards gehalten und sie im Aufwachraum korrekt überwacht hätte.

Daraufhin schlossen die Parteien auf dringendes Anraten des Gerichts einen Vergleich, nach dem die Klinik den Kindern der Patientin etwa 94 % der eingeklagten Kosten zu erstatten hat.

Warum kein Schmerzensgeld?

Nach deutschem Recht konnte zum Zeitpunkt der Vorfälle nur ein von Behandlungsfehlern selbst betroffener Mensch eine Kompensation für sein persönliches Leiden verlangen. Angehörige waren – mit Ausnahme des sogenannten „Schockschadens“ – nicht berechtigt, für den Tod einer nahen Angehörigen einen Ausgleich zu verlangen. Hier verlor die Patientin das Bewusstsein und hatte bis zu ihrem Tod kein Leid zu ertragen. Deshalb konnte im Prozess vor dem Landgericht Osnabrück nur die Erstattung der Beerdigungskosten erstritten werden.

Dieses Ergebnis ist unerträglich und zynisch, es entsprach aber der damaligen deutschen Rechtsprechung und Gesetzeslage.

Erst mit Wirkung zum 22.07.2017 hat der deutsche Gesetzgeber – auch vor dem Hintergrund des germanwings-Flugzeugabsturzes aus dem Jahr 2015 – mit § 844 Abs.3 BGB eine neue Vorschrift eingeführt. Seitdem haben Hinterbliebene, die mit der getöteten Person in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, in erster Linie also deren Ehegatten, Lebenspartner, Kinder oder Eltern, Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Als Richtschnur für die Höhe dieses Hinterbliebenengeldes ist in der Gesetzesbegründung ein Betrag von 10.000,- € vorgesehen. Bislang gibt es noch relativ wenig Rechtsprechung zu dieser neuen Regelung. In einem Einzelfall hat eine Witwe vom LG Tübingen 12.000,- € zugesprochen bekommen.

Wie geht es weiter?

Im rechtskontor49 bearbeitet Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal als Fachanwalt für Medizinrecht die Anfragen aus dem Arzthaftungsrecht. Sollten also sie selbst oder ein/e Angehörige/r den Verdacht haben, dass ein Behandlungsfehler passiert und es dadurch zu einem gesundheitlichen Schaden – im schlimmsten Fall mit Todesfolge – gekommen ist, melden Sie sich gern bei uns.

Was macht ein Rechtsanwalt eigentlich, wenn nicht für Ihr Recht kämpft? Wenig überraschend überschneiden sich die Interessen unserer Anwälten mit den Hobbies, denen Sie in der Freizeit nachgehen. Heute möchten wir von einer unserer Freizeitaktivitäten berichten.

Die Begeisterung und unser Einsatz für das Fahrradrecht kommen nicht von ungefähr. Die Rechtsanwälte Dustin Hirschmeier, Timm Laue-Ogal und Burkhard Wulftange zählen zu den passionierten Rennradfahrern.

Am 30.07.2022 ist das rechtskontor49 Cycling Team geschlossen der Einladung des TuS Engter e.V. gefolgt und hat an der 42. RTF-Wadenkneifer teilgenommen. Wir hatten viel Spaß und möchten uns auch auf diesem Weg noch einmal für die ausgezeichnete Organisation, super Stimmung und Verpflegung bedanken. Im kommenden Jahr werden wir sicher wieder die Höhenmeter angreifen.

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

Das neue Nachweisgesetz – vom Papiertiger zum Bußgeldrisiko

Das Nachweisgesetz führte bislang ein Schattendasein in Deutschland. Es befasst sich mit den Vertragsbedingungen, die der Arbeitgeber seinen Beschäftigten auf deren Anforderung hin mitzuteilen hat. Verstöße durch den Arbeitgeber wurden nicht sanktioniert. Das ändert sich schon ab dem 01.08.2022: Künftig kann aber bei einem Verstoß gegen das Nachweisgesetz ein Bußgeld von bis zu 2.000 Euro pro Verstoß fällig werden.

Wie kam es dazu?

Der deutsche Gesetzgeber hat eine von der EU vorgegebene Vorgabe umgesetzt, und das sogar pünktlich. In der EU-Richtlinie zu transparenten Arbeitsbedingungen wird gefordert, dass die Mitgliedstaaten bis zum 31.07.2022 Vorgaben für Arbeitsvertragsklauseln umsetzen. Bislang hat Deutschland solche Fristen gerne einmal verstreichen lassen und deshalb Bußgelder an die EU bezahlt. Hier aber passierte die Änderung des Nachweisgesetzes den Bundestag ziemlich fix. Die Neuregelung gilt also ab dem 01.08.2022!

Der Vorher-Nachher-Vergleich

Das Nachweisgesetz hat in seinem § 2 Abs. 1 S. 1 bislang nur geregelt, dass Arbeitgeber die wichtigsten Vertragsbedingungen binnen eines Monats nach Beginn des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer auf Anforderung mitzuteilen haben. Hierbei handelt es sich nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG um folgende Punkte:

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien (Nr. 1)
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses (Nr. 2)
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung (Nr. 3)
  • Arbeitsort (Nr. 4)
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit (Nr. 5)
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts (Nr. 6)
  • Arbeitszeit (Nr. 7)
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs (Nr. 8)
  • Kündigungsfristen (Nr. 9)
  • Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind (Nr. 10).

Ab dem 1. August 2022 aber müssen nach dem geänderten Gesetz zusätzlich folgende Vertragsbedingungen schriftlich niedergelegt werden:

  • Bei befristeten Arbeitsverhältnissen: Enddatum des Arbeitsverhältnisses (Nr. 3)
  • freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer (Nr. 4)
  • Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit (Nr. 6 neu)
  • Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung (Nr. 6 alt, Nr. 7 neu)
  • Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen (Nr. 7 alt, Nr. 8 neu)
  • Regelungen bei Arbeit auf Abruf nach § 12 TzBfG (Nr. 9 neu)
  • Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen (Nr. 10 neu)
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildungen (Nr. 12 neu)
  • Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers – die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist (Nr. 13 neu)
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Wird über die 3-Wochen-Frist nicht informiert, ist die Kündigungsschutzklage allerdings trotzdem verspätet (Nr. 9 alt, Nr. 14 neu).

Neu im Nachweisgesetz ist zudem, dass Arbeitgeber bereits am ersten Arbeitstag neuen Arbeitnehmern einen Teil der Informationen (Name und Anschrift der Vertragsparteien, Arbeitsentgelt und Überstunden, Arbeitszeit) schriftlich auszuhändigen haben. Weitere Informationen (insbes. Beginn des Arbeitsverhältnisses, ggf. Befristung, Arbeitsort, Tätigkeitsbeschreibung und Überstunden) müssen innerhalb von sieben Tagen nachgereicht werden. Für die übrigen Informationen hat der Arbeitgeber einen Monat Zeit.

Nach § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG n.F. hat der Arbeitgeber schließlich die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses innerhalb obiger Fristen

„schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen“.

Daraus ergibt sich, dass für den Nachweis der im NachwG gelisteten Vertragsbedingungen die Schriftform gefordert wird und die elektronische Form nicht ausreichend ist.

Für wen gelten die Änderungen?

Die neuen Nachweispflichten gelten unmittelbar gegenüber allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihr Beschäftigungsverhältnis am 1. August 2022 beginnen.

Verträge von Mitarbeitenden, die bereits vor dem 1. August 2022 beschäftigt waren, bleiben hingegen unverändert. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben durch das neue Nachweisgesetz allerdings das Recht, ihren Arbeitgeber dazu aufzufordern, ihnen die neuen Informationen mitzuteilen. Dieser muss dann grundsätzlich innerhalb von sieben Tagen reagieren und bereits die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich aushändigen.

Weitere Informationen etwa über das Kündigungsverfahren, den Urlaub, die betriebliche Altersversorgung oder Fortbildungen müssen spätestens innerhalb eines Monats bereitgestellt werden. Das kann jeweils auch durch ein Informationsblatt geschehen, das aber ebenfalls in Schriftform ausgehändigt werden muss.

Was ist jetzt zu tun?

Die Politik ging davon aus, dass nur etwas 10 % der Unternehmen Änderungsbedarf aufgrund der neuen Vorgaben des Nachweisgesetzes haben werden.

Das dürfte ein fulminanter Irrtum sein. Tatsächlich werden die allermeisten Arbeitgeber ihre Arbeitsvertragsformulare um die zusätzlichen Bedingungen ergänzen und ein Informationsblatt dazu erstellen müssen. Nur so kann verhindert werden, der Gefahr eines Bußgeldes zu entgehen. Natürlich gilt auch hier der Grundsatz: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Wenn aber Beschäftigte ihre Arbeitsbedingungen anfordern, sollte jeder Arbeitgeber sich gut vorbereitet haben. Gerade die Vorgaben zur transparenten Regelung der Anordnung und Vergütung von Überstunden dürften für viele Angestellte von großem Interesse sein.

Wie können wir Ihnen helfen?

Im rechtskontor49 beraten Sie die Rechtsanwälte Timm Laue-Ogal und Dustin Hirschmeier zu allen Fragen der Arbeitsvertragsgestaltung. Melden Sie sich gern bei uns, wenn Sie als Arbeitgeber Klärungs- und Ergänzungsbedarf haben.

Und bitte achten Sie darauf: Es ist nicht mehr viel Zeit bis zum 01.08.2022!

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Karlruhe hat gesprochen: Wenn Behandlungsmethoden noch nicht hinreichend klinisch erprobt sind, gelten besonders strenge Anforderungen an die Patientenaufklärung. Man spricht in diesem Fall von einer Neulandmethode. Diese anzuwenden stellt nicht automatisch einen Behandlungsfehler dar. Aber der der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 18.05.2021 (VI ZR 401/19) klargestellt, worüber Patient:innen aufgeklärt werden müssen.

Worum ging es?

Einem Patienten wurde im Jahr 2011 eine neuartige Bandscheibenendoprothese aus Kunststoff implantiert. Dieses Produkt hatte zwar schon eine CE-Zertifizierung, es gab zu ihr es aber noch keine längerfristigen klinischen Studien.

Kurz nach der Operation des Klägers begann der Hersteller, eine Rückrufaktion durchzuführen. Bis 2014 rief er alle Prothesen dieses Typs zurück. Es war wiederholt zu Brüchen und Auflösungen an den Prothesen gekommen.
So auch beim Kläger in unserem Fall. 2014 traten bei ihm Schmerzen auf. Es wurde festgestellt, dass Teile des Prothesenkerns in den Spinalkanal gewandert waren. Die Prothese wurde operativ entfernt, durch einen Cage ersetzt und die Wirbelsegmente fixiert.

Der Hersteller der Prothese meldete Insolvenz an. Bei ihm war also nichts zu holen. Der Patient verklagte die Klinik und deren Behandler, die ihm die Bandscheibenendoprothese eingesetzt hatten. Er begründete dies damit, dass er nicht ordnungsgemäß über die Risiken dieser Neulandmethode aufgeklärt worden sei. Außerdem hätten die Operateure vor dem Eingriff schon Kenntnis von einer Information des Herstellers gehabt, mit der über Probleme mit dem Produkt berichtet wurde; es sei also auch behandlungsfehlerhaft gewesen, ihm die Prothese zu implantieren.

Was sagt der BGH?

Das höchste Zivilgericht des Landes hat schon mehrfach die Kriterien einer ordnungsgemäßen Aufklärung bei noch nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethoden definiert. In seiner neuesten Entscheidung stellt es das Selbstbestimmungsrecht der Patienten erneut in den Mittelpunkt. Es sei auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff noch kein medizinischer Standard sei. Dabei müsse unmissverständlich verdeutlicht werden, dass die neue Methode unbekannte Risiken birgt, so der für Arzthaftung zuständige Senat des BGH. Der Patient müsse sorgfältig abwägen können, ob er sich lieber einer Standard-Methode mit den bekannten Risiken oder aber einer neuen Methode mit noch unbekannten Risiken unterziehen möchte.

Eine solche Risiko-Aufklärung hatten die Behandler im Fall des Patienten versäumt. Er berief sich deshalb darauf, dass der Eingriff mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrig war und er dafür zu entschädigen sei.
Die Behandler behaupteten allerdings, der Patient wäre auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung mit der Operation einverstanden gewesen, wendeten also eine sog. „hypothetische Einwilligung“ ein. Das ist ein Einwand, mit dem eine missbräuchliche Berufung auf eine unzureichende Aufklärung nur zu Haftungszwecken unterbunden werden soll.

Anders als die Vorgerichte (LG Aurich, OLG Oldenburg) hielt der BGH diesen Einwand der Behandler aber für unerheblich. Landgericht und Oberlandesgericht hatten dem Patienten abgesprochen, bei vollständiger Aufklärung zumindest in einen Entscheidungskonflikt geraten zu sein.

Dem folgte der BGH nicht: Da dem Patienten vor der Operation nicht einmal mitgeteilt worden sei, dass es sich um eine Neulandmethode handelt, und da er bis zu seiner Anhörung im Prozess auch keine Information dazu erhalten hatte, worüber er aufzuklären gewesen wäre, seien seine Angaben großzügig zu bewerten. Wenn er in einem solchen Fall erklärt, sich nicht sicher gewesen zu sein, wofür er sich bei einer vollständigen Aufklärung entschieden hätte, dürfe nicht von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen werden.

Auch bei der Frage der Sorgfaltspflicht bei der Anwendung der neuen Bandscheibenprothese stellten sich die Karlsruher Richter auf die Seite des Patienten: Er hatte ein Schreiben des Herstellers aus dem Jahr 2014 vorgelegt, aus dem hervorging, dass die ersten Informationen über Probleme mit der Prothese bereits 2010 veröffentlicht wurden. Es sei deshalb Sache der Behandler darzulegen, seit wann sie Kenntnis davon hatten, so der BGH. Die Behauptung des Klägers, das sei zum Zeitpunkt seiner Operation im Jahr 2011 schon der Fall gewesen, hätten Klinik und Ärzte zu entkräften, ansonsten gelte sie als zugestanden. Deshalb hätten LG / OLG dem Antrag des Klägers auf Vernehmung des verantwortlichen Arztes zu dieser Frage nachkommen müssen. Das hatten sie abgelehnt und die Klage abgewiesen. Nun hat das OLG Oldenburg die Vernehmung nachzuholen, der BGH hat den Fall nämlich zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.

Fazit

Mit seinem Urteil stärkt der BGH die Patientenrechte. In der Arzthaftung erkennt er Sonderregeln zur Beweislast und auch zur Darlegungslast an. An den Vortrag eines Patienten im Klageverfahren dürfen nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, weil er regelmäßig weder die exakten Behandlungsabläufe kennen noch dasselbe medizinische Wissen aufbringen kann wie die Behandlerseite. Nur so ist eine Art „Waffengleichheit“ und damit auch ein faires Gerichtsverfahren gewährleistet. Dabei handelt es sich immerhin ein verfassungsrechtliches Gebot.

Was können Sie tun?

Sollte Ihnen als Patient*in empfohlen werden, sich einer neuartigen Behandlungsmethode zu unterziehen, verlangen Sie unbedingt eine vollständige Aufklärung über alle bislang bekannten und vor allem auch eventuell noch unbekannten Risiken. Natürlich können die Behandelnden hier mangels Vorliegens von Risiko-Studien nur mutmaßen, wo es Probleme geben könnte, aber gerade das muss seitens der Ärzteschaft klar und eindeutig kommuniziert werden.

Und wenn es schon zu spät ist?

Dann melden Sie sich bei uns. Rechtsanwalt Laue-Ogal, unser Fachanwalt für Medizinrecht, kümmert sich um Ihren Fall und zeigt Ihnen auf, welche Schritte möglich und erfolgversprechend sind. Der Fall des Patienten vor dem BGH wird nicht der letzte seiner Art gewesen sein.