von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

Trotz einer offensichtlich unvollständigen Dokumentation hat das Landgericht Bielefeld die Klage einer Patientin gegen eine Klinik und die dortigen Ärzt*innen abgewiesen. Dabei nahm das Gericht eine Beweislastentscheidung vor, die Anlass zu Kritik gibt.

Der Fall vor dem Landgericht

Geklagt hatte die Patientin wegen fehlender Aufklärung über eine Mobilisierung ihres operierten Zehengelenks. Weil sie nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zu Hause keine Bewegungsübungen machte, versteifte das Gelenk. Erst bei der planmäßigen Wiedervorstellung in der Klinik sei ihr erklärt worden, dass sie den Fuß sofort und täglich zu Hause hätte mobilisieren müssen, so die Patientin. Nur mit intensiver physiotherapeutischer Unterstützung gelang es ihr, eine halbwegs annehmbare Belastbarkeit des Fußes wieder herzustellen. Für die erlittenen Beschwerden verlangte sie ein angemessenes Schmerzensgeld.

Die Klinik behauptete im Prozess vor dem Landgericht, dass es bei ihr seit vielen Jahren Standard sei, den Patient*innen nach Operationen dieser Art Hinweise zu Eigenmobilisationsübungen zu erteilen und eine Broschüre mit bestimmten, zu Hause auszuführenden Übungen zu überreichen. In der Behandlungsdokumentation der Klinik fand sich eine solche „therapeutische Aufklärung“ aber nicht. Die klagende Patientin bestritt, eine solche Broschüre oder überhaupt Hinweise nach der Operation erhalten zu haben.

Das Landgericht Bielefeld vernahm eine Oberärztin und eine Physiotherapeutin des Krankenhauses als Zeuginnen. Sie waren beide in die Behandlung der klagenden Patientin eingebunden, konnten sich aber nicht mehr an sie erinnern. Beide bestätigten jedoch die interne Anweisung der Klinik über die Hinweise und die Broschüre und gaben zu Protokoll, diese Aufklärung „immer so“ vorzunehmen.

Eigentlich gilt seit Jahrzehnten im Arzthaftungsrecht der Grundsatz „was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht erbracht“. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gilt beim Beweis der Aufklärung faktisch aber „in dubio pro medicus“: Ärzt*innen können den ihnen obliegenden Beweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung im Zweifel durch Schilderung einer regelmäßigen Aufklärungsübung erbringen (sog. „immer-so“- Rechtsprechung).

Im Fall der Patientin hielt das Landgericht Bielefeld die Ausführungen der Klinikärztin und -physiotherapeutin für stichhaltig, gelangte so zu der Überzeugung, dass eine ordnungsgemäße therapeutische Aufklärung stattgefunden hatte und wies die Klage der Patientin ab.

Die Kritik

Das Konstrukt des „immer-so-Beweises“ kann Behandelnden im Einzelfall also über die Hürde der fehlenden oder unvollständigen Dokumentation hinweghelfen. Es mehren sich jedoch die Stimmen, dass die BGH-Rechtsprechung einer Überprüfung bedarf. Denn auch wenn es aus ärztlicher Sicht durchaus verständlicherweise zu einer Beweisnot kommen kann, wenn bei einer Vielzahl von Behandlungen Aufzeichnungen einmal nicht vollständig sind, so ist der „immer-so-Beweis“ eben doch nur ein Indiz und kein „echtes“ Beweismittel. Der BGH setzt sich hier in gewisser Weise über die Beweislastregeln aus dem Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 hinweg. Es bleibt daher abzuwarten, ob er in den kommenden Jahren an seiner Rechtsprechung festhält.

von Rechtsanwalt Henning J. Bahr

 

„Als Einzelperson ist man oft ratlos!“

Äußerung eines Ratsuchenden, April 2022

Dass die Situation der Radwege in Osnabrück nicht optimal ist, ist inzwischen wiederholt dargestellt worden. Verschärft wird dieser Missstand durch das regelwidrige Abstellen von Kraftfahrzeugen auf Geh- und Radwegen, allgemein Falschparken genannt. Wird ein Geh- oder Radweg von abgestellten Fahrzeugen blockiert, zwingt das die eigentlich berechtigten Nutzer:innen zum Ausweichen – häufig auf weniger sichere Teile des Verkehrsweges, möglicherweise sogar auf die befahrene Straße.

Kann eine Privatperson etwas gegen Falschparkende unternehmen?

Abschleppen lassen

Den Auftrag, ein rechtswidrig abgestelltes Fahrzeug abschleppen zu lassen, kann auf Kosten des Fahrzeughalter:in oder -nutzer:in nur erteilt werden, wenn sogenannte „verbotene Eigenmacht“ durch die Nutzer:in des parkenden Fahrzeuges vorliegt. Dies ist zB. der Fall, wenn ein Fahrzeug auf einem Privatgrundstück oder einem gemieteten Parkplatz abgestellt wird. Dann hat die berechtigte Person die Möglichkeit, dagegen durch ein sach- und fachgerechtes Abschleppen vorzugehen [vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 5.6.2009, Az. V ZR 144/08]. Ähnlich ist es zu bewerten, wenn ein Fahrzeug durch das regelwidrige Parken das Wegfahren von einem Parkplatz oder Grundstück verhindert.

Ein lediglich störendes Fahrzeug im öffentlichen Raum kann durch eine Privatperson nicht beseitigt werden. Dies wäre wiederum seinerseits rechtswidrig und möglicherweise sogar strafbar.

Anzeige erstatten

Die Ordnungsbehörden, also das Ordungsamt vor Ort, sind für die sogenannte Gefahrenabwehr zuständig, die Verhinderung drohender Verletzung von Vorschriften und Rechte anderer Menschen. Hierzu zählt auch das Vorgehen gegen Verkehrswidrigkeiten im ruhenden Verkehr, in erster Linie natürlich durch „Knöllchen“ mit Geldbußen im Ordnungswidrigkeitenverfahren. Aber Gefahren für den fließenden Verkehr können auch durch Abschleppen falsch parkender Fahrzeuge im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung – in Niedersachsen nach dem Nds. Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) – beseitigt werden. Unter Berufung auf frühere Entscheidungen hat dies das Verwaltungsgericht Leipzig zusammengefasst:

Die Verhältnismäßigkeit einer Abschleppmaßnahme setzt grundsätzlich keine konkrete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer voraus (BVerwG, Beschluss vom 1.12.2000 – 3 B 51/00 -, juris Rn. 4). Nicht jeder Parkverstoß rechtfertigt zwar allein unter Berufung auf eine negative Vorbildwirkung und auf den Gesichtspunkt der Generalprävention ohne Weiteres das Abschleppen eines Fahrzeugs. Die Nachteile, die mit einer Abschleppmaßnahme für den Betroffenen verbunden sind, dürfen nicht außer Verhältnis zum bezweckten Erfolg stehen, was aufgrund einer Abwägung der wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu beurteilten ist (BVerwG, Beschluss vom 18.2.2002 – 3 B 149/01 -, juris Rn. 4). Unzweifelhaft ist aber, dass verbotswidrig abgestellte Fahrzeuge regelmäßig dann abgeschleppt werden dürfen, wenn sie andere Verkehrsteilnehmer behindern. Dies gilt etwa beim Verstellen des gesamten Bürgersteigs oder beim Hineinragen des Fahrzeugs in die Fahrbahn, bei Funktionsbeeinträchtigungen einer Fußgängerzone oder beim verbotswidrigen Parken auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz, in Feuerwehranfahrzonen oder auch bei einem Abschleppen zur Verhinderung von Straftaten (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.4.2014 – 3 C 5/13 -, BVerwGE 149, 254-265, juris Rn. 12). Ebenso ist das Abschleppen eines Fahrzeugs, das in einen Radweg hineinragt, wegen der Verkehrsbedeutung des Sonderweges regelmäßig nicht zu beanstanden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.4.2011 – 5 A 954/10 -, juris Rn. 10; OVG Hamburg, Urt. v. 28.3.2000 – 3 Bf 215/98 -, juris Rn. 28).

VG Leipzig, Urteil vom 5.5.2021 – 1 K 860/20

Die Möglichkeiten der Ordnungsbehörde sind also vielfältig und beinhalten insbesondere auch die Möglichkeit, den falsch parkenden Wagen zu entfernen, vor allem bei Behinderung des fließenden Verkehrs. Die Kosten sind dann vom Verursachenden zu tragen.

Darf eine Privatperson die Ordnungsbehörde auf Falschparker hinweisen?

Eindeutig: Ja!

Die einschlägige Literatur leitet aus § 158 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO), der auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt, als Folge des staatlichen Gewaltmonopols ein „Recht zur Anzeige“ ab:

Auch muss der Bürger, wenn ihm jede eigenhändige Deliktssanktionierung verwehrt ist, vom Staat, der insoweit ein Monopol reklamiert, hierzu wenigstens angehört werden. Deshalb ist grundsätzlich jedermann zu den Mitteilungen (…) berechtigt. Es bedarf dazu weder der eigenen Schädigung noch eines besonderen persönlichen Interesses.

Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung
§ 158 StPO, Randnummer 11

Ein Anruf bei der Polizei ist nur hilfreich, wenn der Verstoß außerhalb der normalen Dienstzeiten festgestellt wird und zugleich von dem Parkverstoß eine Gefahr ausgeht, die mit einer gewissen Dringlichkeit beseitigt werden muss. Das kann bei schwerwiegenden Behinderungen durchaus der Fall sein.

Drohen Anzeigenden Geldbußen wegen Datenschutzverstößen?

Vielfach werden Anzeigen gegen Falschparkende oder andere Verkehrssünder:innen mit Handyfotos oder Videos sogenannter Dashcams belegt, bei denen gerade die Kfz-Kennzeichen zu erkennen sind. Teilweise fordern Behörden sogar zur Einreichung von Fotobeweisen auf und bearbeiten Anzeigen ohne diese nicht.

Immer wieder kommt es aber vor, dass solche Anzeigen Gegenstand von Verfahren bei den Landesdatenschutzbehörden sind und zu Bußgeldbescheiden führen. Insbesondere das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht hat inzwischen mehrere Verfahren dieser Art eingeleitet, derzeit hat das Verwaltungsgericht Ansbach über den Fall eines Familienvaters zu entscheiden, der eine Anzeige eingereicht hatte. Die Behörde nimmt an, dass es kein sogenanntes „berechtigtes Interesse“ nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung gibt, das die elektronische Verarbeitung und Weitergabe des Kfz-Kennzeichens als zumindest mittelbar betroffene personenbezogene Angabe rechtfertigen soll.

Dies ist wenig überzeugend. Wenn Bürgerinnen und Bürger das Recht zur Anzeige haben, müssen sie auch in der Lage und berechtigt sein, die notwendigen Belege vorzulegen. Dies dient dem Eigenschutz vor dem Vorwurf falscher Verdächtigung, aber auch der Sicherung eines ordnungsmäßigen Verfahrens. Zudem handeln sicher die wenigstens Anzeigeerstatter:innen, ohne eigene Interessen zu verfolgen – und wenn es nur die Sicherheit des eigenen Fahrtweges ist.

Der Kollege Rechtsanwalt Michael Kamps hat sich mit dieser Fragestellung eingehend und inhaltlich richtig beschäftigt! Sollten Sie wegen der Verwendung eines Fotos mit Kennzeichen zu einem Bußgeld herangezogen werden, melden Sie sich gern bei uns – wir helfen Ihnen weiter!

Wenn die Ordnungsbehörde nicht tätig wird

Die Möglichkeiten, Ordnungsbehörden zum Einschreiten gegen Falschparker:innen zu zwingen, sind leider überschaubar.

Strafanzeige gegen die Behörde?

Es gibt keinen Straftatbestand, um erfolgversprechend die Untätigkeit einer Verkehrsaufsichtsbehörde durch die Staatsanwaltschaft verfolgen zu lassen. Wie mein Kollege Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier hier schon dargestellt hat, folgt das Ordnungswidrigkeitenrecht – und reine Parkverstöße fallen praktisch immer hierunter – dem sogenannten Opportunitätsprinzip: Entscheidet sich eine Behörde dagegen, etwas zu unternehmen, liegt dies nach derzeitiger Rechtslage in ihrer Entscheidungskompetenz und begeht keine Strafvereiteilung, Rechtsbeugung oder vergleichbare Tat. Das gleiche gilt für die Entscheidung über das Abschleppen, weil auch das Einschreiten im Gefahrenabwehrrecht eine kaum zu überprüfende Ermessenentscheidung ist.

Klagen vor dem Verwaltungsgericht?

Eine sogenannte Untätigkeitsklage ist nur möglich, wenn es um eigene Anträge geht, in denen eigene Belange betroffen sind. Auch wenn eine Anzeige aus eigenem Interesse erstattet wurde, genügt dies für eine Untätigkeitsklage nicht, weil man an einem Verfahren, das durch eine Anzeige eingeleitet wurde, selbst nicht beteiligt ist.

Es ist auch wenig erfolgversprechend, eine Ordnungsbehörde vor dem Verwaltungsgericht zu verklagen, gegen Falschparker strenger mit Bußgeldern vorzugehen oder diese immer abschleppen zu lassen. Zum einen müsste das Verfahren auf einen konkreten Verstoß bezogen sein, der regelmäßig schneller beseitigt ist, als das Verwaltungsgericht selbst im Eilverfahren entscheidet. Zum anderen aber besteht kein allgemeines Recht, dass Behörden gegen Falschparker vorgehen, auf das sich der einzelne berufen könnte. Das aber ist notwendig, um vor dem Verwaltungsgericht Gehör zu finden, wie es zB. in der Vergangenheit mit Luftreinhalteplänen gelungen ist, auf die es einen allgemein durchsetzbaren Anspruch gibt.

Deswegen kann man gerichtlich gegen bestimmte Radwegfestsetzungen vorgehen, zB. wenn die Nutzung des zu benutzenden Weges zu unsicher ist, oder für die Festsetzung bestimmter Park- und Halteverbote oder sonstiger Maßnahmen gegen verkehrswidriges Parken. Für letzteres muss man aber persönlich nicht nur als Passant:in, sondern zB. als Anwohner:in betroffen sein. So hat zuletzt das Verwaltungsgericht Bremen in einem Urteil vom 11.11.2021 (Az. 5 K 1968/19) Anwohner:innen Recht gegeben, die die Straßenverkehrsbehörde zum Einschreiten gegen „aufgesetztes Gehwegparken“ in einer Wohnstraße zwingen wollten, weil die Ordnungsbehörde nichts oder nicht genug unternommen hat. Einen Anspruch auf bestimmte Maßnahmen gibt es auch danach nicht, einem völligen Ablehnen des Einschreitens hat das Gericht in der dortigen Situation aber eine Absage erteilt. Welche Voraussetzungen für eine solche Konstellation erforderlich sind, können wir jeweils in einer konkreten Beratung sagen.

Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde

Immer möglich sind eine form und fristlose Dienst- oder Fachaufsichtsbeschwerde. Erstere richtet sich zumeist gegen die Amtsführung der einzelnen Sachbearbeiter:innen oder Vollzugsbeamte; sie ist an die Stelle zu richten, deren Arbeit beanstandet wird, idealerweise direkt an die Behördenleitung, zB. in Osnabrück die Oberbürgermeisterin. Die Fachaufsichtsbeschwerde wird an die übergeornete Behörde gerichtet, die die Aufsicht über die Ordnungsbehörde führt.

Es besteht kein Grund, hiervor zurückzuschrecken, in einer solchen Beschwerde in eigenen Worten und ohne Nennung von Gesetzen und Paragraphen das zu schildern, was Sie sich wünschen. Ehrlicherweise wird man allerdings sagen müssen, dass Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn sie wirklich fundiert der Behörde aufzeigen, welcher Missstand besteht, welche Handlungsoptionen die Behörde hat und warum es besser wäre, diese wahrzunehmen. Dafür sind durchaus vertiefte Kenntnisse im Verwaltungs- und Verkehrsrecht erforderlich. Wenn Sie also bei einem solchen Vorgehen vertreten werden wollen, wenden Sie sich gern an uns. Wir unterstützen Sie gern.

Was folgt daraus?

Der erfolgversprechendste Weg, die Situation der Radfahrenden und die Sicherheit auf Radwegen zu verbessern, ist daher der Weg über die politischen Gremien und die Gesetzgebung. Hierzu kann man nur aufrufen – engagieren Sie sich in Parteien, denen die Verkehrswende am Herzen liegt, in Ihrem Stadt- oder Gemeinderat oder unterschreiben Sie beim Radentscheid Osnabrück.

Es ist keine verlorene Zeit, denn dort kann wirklich etwas verändert werden.

 

von Rechtsanwalt Burkhard Wulftange

 

Das Amtsgericht (AG) Osnabrück hat den LKW-Fahrer für schuldig befunden, den Tod des 62-jährigen Radfahres in fahrlässiger Weise herbeigeführt zu haben. Auch das Strafmaß ist nun amtlich: Das Leben eines Radfahrenden ist nach Ansicht des AG Osnabrück eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten wert.

Eine derart verkürzte plakative Zusammenfassung der Geschehnisse rund um den erneut tödlich endenden Radunfall durch einen abbiegenden LKW und den sich daraus für den Täter ergebenden Konsequenzen wird den handelnden Akteuren im Prozess sicher nicht gerecht. Allein der Umstand, dass sämtliche Verfahrensbeteiligte auf Rechtsmittel verzichtet haben, lässt darauf schließen, dass das urteilende Gericht im Rahmen der Rechtsordnung und unter Berücksichtigung aller Umstände ein sachgerechtes Urteil gesprochen hat.

Gleichwohl bleibt ein fader Beigeschmack. Echte Genugtuung wird die Familie des Unfallopfers vermutlich dadurch nicht erfahren haben, zumal etwaige fahrerlaubniswirksamen Maßnahmen nicht ausgeurteilt wurden. Der verurteilte LKW-Fahrer hätte folglich direkt aus dem Verhandlungssaal wieder in sein Fahrzeug steigen und losfahren dürfen.

Auch eine abschreckende Wirkung auf die Allgemeinheit dürfte von einem solchen Urteil kaum ausgehen. Wer sich also erhofft hat, durch das Urteil werde ein durchgreifendes Umdenken motorisierter Verkehrsteilnehmer stattfinden, so dass zukünftig jedwede im Verkehr erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Unfällen mit Radfahrenden oder Fußgängern eingehalten wird, dürfte enttäuscht werden.

Was die Justiz leisten kann – und wer jetzt handeln muss

Es bleibt mithin festzustellen, dass die Jurisdiktion auf Fehlverhalten und mangelnde Sorgfalt im Straßenverkehr nur reparieren und entsprechende Sanktionen aussprechen kann. Wenn es darum geht, die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer so gut als möglich zu schützen, sind vor allem anderen Legislative und Exekutive gefordert, entsprechende Maßnahmen, Vorschriften und Gesetze zu erlassen und umzusetzen, die geeignet sind, Unfallereignisse wie das hier besprochene gar nicht erst entstehen zu lassen.

Beispiele und Ideen für die konkrete Umsetzung sinnvoller Maßnahmen gibt es dabei zu Hauf: LKW-Durchfahrtsverbote, Tempo-30 Zonen, räumliche Trennung von motorisierten Individualverkehr und Radverkehr, um nur einige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus haben unsere Nachbarländer wie etwas die Niederlande und Dänemark bereits gezeigt, wie sicheres Radfahren funktionieren kann, und zwar auch in großen Städten, in denen das Platzangebot ähnlich eingeschränkt ist wie in Osnabrück.

 

ein Kommentar von Rechtsanwalt Dustin Hirschmeier

Mobilität vs. Unversehrtheit

Immer wieder kommt es im Straßenverkehr zu Unfällen, die erhebliche Verletzungen und den Tod von Menschen nach sich ziehen. Im Alltag begegnet das Bedürfnis an individueller Mobilität (Art. 2 Abs. 1 GG) dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Leben, Art. 2 Abs. 2 GG. Sowohl die Wahl der Art der Mobilität im Alltag als auch das Recht nicht gefährdet zu werden genießen somit verfassungsrechtlichen Schutz. An diesen Vorgaben haben sich einfachgesetzliche Regelungen messen zu lassen. Wann immer grundrechtlich geschützte Positionen aufeinandertreffen, muss ein Ausgleich geschaffen werden, wonach beiden Positionen möglichst viel Entfaltung zukommt, ohne dass eine Position vollständig zurücktritt. Diese Abwägung wird in der Rechtswissenschaft als praktische Konkordanz bezeichnet.

Die rechtliche Konfliktbewältigung in Bewegung

Im Rang unterhalb der Verfassung hat der Gesetzgeber die Vorgaben der Verfassung konkretisiert und in einfachgesetzlichem Rahmen festgelegt. Für den Straßenverkehr sind die Verhaltensgebote primär in der StVO niedergelegt. Verstöße gegen die StVO sind regelmäßig mit einem Bußgeld belegt und werden im Ordnungswidrigkeitsverfahren geahndet. § 47 OwiG sieht für Ordnungswidrigkeiten das sog. Opportunitätsprinzip vor. Das bedeutet, dass die zuständige Verwaltungsbehörde im pflichtgemäßen Ermessen selbst entscheiden kann, ob sie eine Verfolgung eines Verstoßes fortführt oder das Verfahren eigenständig einstellt. Ein weiterer Aspekt des Ordnungswidrigkeitsverfahrens im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr ist, dass die Bußgelder regelmäßig aufgrund des erlassenen Bußgeldkatalogs festgelegt sind.

Der technische Fortschritt und die Zunahme an individueller Mobilität führen bedauerlicherweise immer häufiger zu erheblichen Verletzungen und immer häufiger zum Tod von Bürger:innen im Zusammenhang mit dem täglichen Straßenverkehr. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Bußgelder, die im Ordnungswidrigkeitenverfahren verhängt werden, eine ausreichende Abschreckungswirkung entfalten, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden zu gewährleisten. In den vergangenen Jahren hat sich deshalb immer häufiger das Erfordernis ergeben, Fragen im Zusammenhang des Straßenverkehrs nicht mehr nur auf der Ebene der Ordnungswidrigkeiten juristisch zu diskutieren, sondern diese in den Bereich des Strafrechts zu verlagern. Im Unterschied zum Ordnungswidrigkeitenverfahren obliegt die Entscheidung, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird nicht den Verwaltungsbehörden, sondern der Staatsanwaltschaft. § 152 Abs. 2 StPO legt das sogenannte Legalitätsprinzip fest. Danach ist die Strafverfolgungsbehörde verpflichtet Ermittlungen aufzunehmen, sofern zureichende Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Straftat verübt worden sein könnte. Im Unterschied zum Bußgeldverfahren besteht hier also nicht die Möglichkeit ein Verfahren aus Opportunitätsgründen einzustellen.

Das Strafrecht sieht in der Bundesrepublik besondere Straftatbestände vor, die auf den Straßenverkehr zugeschnitten sind (bspw. §§ 315b, 315c, 315d, 316 StGB). In den vergangenen Jahren hat sich die rechtswissenschaftliche Diskussion und Praxis jedoch mit weiteren Fragestellungen aus dem Bereich des Strafrechts beschäftigen müssen. Die Straftatbestände, die auf den Straßenverkehr zugeschnitten waren, haben die tatsächlichen Auswirkungen des Straßenverkehrs nicht (vollständig) erfassen können. Die öffentliche Diskussion hat – zurecht – gefragt, ob bestimmte Verhaltensweisen im Straßenverkehr von der Gesellschaft zu akzeptieren seien und weshalb das Strafrecht diese Verhaltensweisen nicht in ausreichender Weise sanktionierte. Hintergrund dieser Überlegungen ist ein medial stark diskutierter Vorfall in Berlin, der indessen kein Einzelfall geblieben ist – jedenfalls was die Tathandlung anbelangt. In dem damaligen Fall haben sich zwei junge Männer in der Hauptstadt verabredet ein Autorennen innerhalb einer Innenstadt durchzuführen. Nach den Informationen, die bekannt geworden sind, sind die beiden Männer mit hochmotorisierten Autos mit hoher Geschwindigkeit in Berlin durch die Innenstadt gerast. Zunächst hatten die Beteiligten diese Rennen von Ampel zu Ampel begonnen. Im weiteren Verlauf steigerten sich die Beteiligten immer weiter in die Situation herein und erreichten Geschwindigkeiten von deutlich über 100 km/h (teils bis zu 160 km/h) in der Innenstadt Berlins. Zu diesem Zeitpunkt reagierten die Beteiligten auch nicht mehr auf rote Ampeln, sondern missachteten diese und fuhren über rot. Das Rennen endete durch einen fürchterlichen Zusammenstoß. Ein älterer Herr ist mit seinem Auto – er hatte grün – auf eine Kreuzung eingefahren und wurde von einem der am Rennen beteiligten Personen seitlich gerammt. Der ältere Herr verstarb am Ort des Zusammenstoßes, während die beiden am Rennen beteiligten Männer überlebten. Erst dieser Vorfall veranlasste den Gesetzgeber dazu, „Autorennen“ strafrechtlich ausdrücklich zu sanktionieren und § 315d StGB in das Strafgesetzbuch aufzunehmen.

Ein Mensch wurde durch rücksichtsloses Verhalten getötet. Die Rechtsordnung ging zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich von einem derart krassen Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr aus. Für die Einordnung des Strafverfahrens ist es wichtig zu wissen, dass das Strafrecht so aufgebaut ist, dass nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, solange das Gesetz nicht auch ausdrücklich fahrlässiges Verhalten unter Strafe stellt. Regelmäßig wurden und werden Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Tod eines Menschen im Straßenverkehr durch § 222 StGB sanktioniert. Danach wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer fahrlässig einen Menschen tötet. § 212 StGB sieht vor, dass im Falle der vorsätzlichen (absichtliche, wissentliche oder billigend in Kauf nehmende) Tötung eines Menschen die Strafe nicht unter 5 Jahren Freiheitsstrafe beträgt. Als schwierig gestaltet sich insbesondere die Abgrenzung zwischen fahrlässigem Handeln und bedingtem Vorsatz. Fahrlässigkeit liegt immer dann vor, wenn der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist. Bedingter Vorsatz liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der Täter den Eintritt der Folge (Tötung eines Menschen) für möglich hält, er dies jedoch nicht unbedingt wünscht. Der Täter nimmt die Folge hierbei also billigend in Kauf. In der Abgrenzung zur Fahrlässigkeit hält der Täter in letzterem Fall die Folge der Tat durchaus auch für möglich, vertraut aber darauf, dass diese Folge nicht eintreten werde. In der Praxis ist diese Abgrenzung schwierig, weil sie grundsätzlich an subjektiven Komponenten, also der inneren Einstellung des Täters zur Tat, beantwortet werden muss und man dem Täter „nicht in den Kopf schauen kann“. Die Beurteilung durch das Gericht und die Staatsanwaltschaft erfolgt also anhand objektiver Umstände, die Rückschlüsse auf diese innere Einstellung des Täters zulassen. Mord im Sinne des § 211 StGB liegt immer dann vor, wenn die Tötung eines Menschen mit besonderen Merkmalen verknüpft ist. Das Gesetz knüpft hier an die Tötung besondere tatbezogene oder täterbezogene Merkmale, die zu einer Strafschärfung führen, namentlich lebenslanger Freiheitsstrafe.

Im Fall der „Kudamm-Raser“ hatte die Staatsanwaltschaft nicht wegen fahrlässiger Tötung, sondern wegen (versuchten) Mordes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft ging hier also davon aus, dass der Täter bedingten Vorsatz hatte. (Ich beschränke meine Ausführungen hier auf den Täter, der den getöteten Menschen nicht gerammt hatte, sondern sich an dem Rennen beteiligt hatte). Das Landgericht Berlin hatte den Täter wegen versuchten Mordes verurteilt. Dreimal legte der Täter Revision zum BGH ein. Zweimal hob er BGH die Verurteilung auf, im Rahmen der dritten Revision bestätigte der BGH die Verurteilung wegen versuchten Mordes (4 StR 319/21).

Die Problematik in juristischer Hinsicht besteht in diesem Fall darin, dass sich der Täter tatsächlich keine Gedanken dazu gemacht hatte, dass er durch sein Verhalten einen Menschen töten könnte. Er hatte im Zeitpunkt des Zusammenstoßes wegen der hohen Geschwindigkeit auch den durch den Zusammenstoß getöteten Menschen nicht wahrgenommen. Nach den Feststellungen des Landgerichts Berlin, die der BGH mitgetragen hat, war für den Täter klar, dass er einen Zusammenstoß auf der Kreuzung nicht hätte verhindern können und ging aufgrund dieses Umstandes von vorsätzlichem Handeln aus.

Der Bundesgerichtshof hatte die Mordmerkmale „Heimtücke“ und „niedrige Beweggründe“ als erfüllt angesehen. Heimtückisch handelt ein Täter (vereinfacht dargestellt), wenn das Tatopfer sich im Zeitpunkt der Tat keines Angriffs versieht, das Opfer arglos ist, aus diesem Grund wehrlos. Niedrige Beweggründe sind dann erfüllt, wenn die Tat auf sittlich niedrigster Stufe steht. In den Autorennenfällen ist somit nun geklärt, dass diese im Falle der Tötung eines Menschen den Straftatbestand es Mordes erfüllen können.

Tödliche Unfälle mit Radfahrenden

Anlass dieser Ausführungen ist ein (erneuter) bedauerlicher Vorfall im Straßenverkehr. Am 23.03.2022 ist ein Radfahrer in Osnabrück erneut getötet worden, als ein LKWführer im Stadtgebiet rechts abbiegen wollte und dabei den Radfahrer überrollte. Diese Art von Vorfällen mit LKW kommt bedauerlicherweise immer wieder vor. Es ist nicht meine Intention dem Führer des LKW den Vorwurf der Absicht zu machen. Der Vorfall zeigt jedoch wieder einmal, dass sich trotz zahlreicher vergleichbarer Ereignisse in der Vergangenheit, keine Besserung eingestellt hat. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen nicht reagiert. Aus diesem Grund halte ich es für erforderlich, dass die strafrechtliche Diskussion – insbesondere nach der Entscheidung des BGH vom 19.01.2022 zu den Raserfällen – auch die Konstellation um die LKW in das Blickfeld nimmt. Überträgt man die Feststellungen zu den Raserfällen auf die abbiegenden LKW, so wird man feststellen, dass sich der Radfahrer ebenfalls keines Angriffs versehen haben wird. Das wäre nach meinem Dafürhalten auch nicht anders einordnenbar. Derjenige, der im Straßenverkehr „stärker“ ist, trägt eine höhere Pflicht zur Rücksichtnahme. Es wäre nicht vermittelbar, wenn der „schwächere“ Verkehrsteilnehmer, namentlich Fußgehende und Radfahrende stets damit rechnen müssten, überfahren zu werden. Dies stellte einen Offenbarungseid dar und eine Verlagerung der Verantwortung auf Nichthandelnde.

Auch in diesen Konstellationen der abbiegenden LKW stellt sich die Frage ob fahrlässiges Handeln vorliegt oder bedingter Vorsatz. Hat der Handelnde das Risiko billigend in Kauf genommen oder darauf vertraut, dass nichts geschehen würde? Der Vergleich zu den Raserfällen erscheint im ersten Moment konstruiert. Für jeden ist sofort klar, dass eine Fahrt mit dem Auto mit einer Geschwindigkeit, die die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn überschreitet, in der Innenstadt extrem gefährlich ist. Bis zu den Entscheidungen des BGH in den Raserfällen hat hier jedoch keine Verurteilung wegen Totschlags/Mords stattgefunden. Die Rechtsprechung ist im Jahr 2022 neu, für diese Taten.

Ein Auto ist bei der Geschwindigkeit von 160 km/h nicht kontrollierbar in der Stadt. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob ein LKW kontrollierbar ist, in der Innenstadt. Der LKW wird nicht mit der Geschwindigkeit des Autos im Kudamm-Fall bewegt. Gleichwohl besteht die Gefährdung in diesem Fall durch das erheblich größere Gewicht. Wenn der Ansatz beim Rasen die Geschwindigkeit ist, mit der eine fehlende Kontrollierbarkeit begründet wird, müsste diese Frage folgerichtig auch für LKW geprüft werden, mit erheblichem Gewicht und einer scheinbaren Unübersichtlichkeit. Der Rechtsstaat sollte es nicht akzeptieren, dass durch den Wunsch unsicherer Mobilität Menschen sterben. Neben dem Gewicht, von dem eine erhebliche Gefahr ausgeht, spielt auch das Argument des „toten Winkels“ eine erhebliche Rolle für meine Fragestellung. An zahlreichen LKW sind Aufkleber angebracht, die andere Verkehrsteilnehmende auf einen „toten Winkel“ aufmerksam machen sollen. Diese Aufkleber verlagern das Risiko einer Verletzung auf andere Verkehrsteilnehmer und ist m. E. auch bei der Frage des Verhaltens eines LKW-Führenden zu berücksichtigen. Es wären Untersuchungen wünschenswert, wie sich diese Aufkleber auf das Verhalten und Selbstverständnis des Führenden des LKW auswirken. Die EU hat die Problematik des „toten Winkels“ erkannt. In der Richtlinie 2007/38 EG hat die EU für Neuzulassungen für in der Richtlinie bestimmte schwere Fahrzeuge, ab spätestens April 2009, vorgesehen, dass der „tote Winkel“ entschärft werden soll. LKW – mit bestimmten Ausnahmen – müssen im Falle der Zulassung in der EU mit Weitwinkel und Nahbereichsspiegeln ausgestattet sein. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch in diesen Fallgestaltungen die Frage des Vorsatzes gestellt werden sollte. Nach der Pressemitteilung der Polizei Osnabrück wurde Haftbefehl gegen den LKW-Fahrer beantragt und Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung aufgenommen. Zumindest in diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft eine Vergleichbarkeit zu den Raserfällen (noch) nicht angenommen.

Ein wichtiges Wort zum Schluss

Ich möchte jedoch auch betonen, dass eine strafrechtliche Aufarbeitung den Verlust für die Angehörigen nicht aufwiegt. Jeder Todesfall im Straßenverkehr ist m. E. aber einer zu viel. Solange die Infrastruktur nicht für den Schutz und die Sicherheit der „schwächeren“ Verkehrsteilnehmenden geändert wird und solange der Gesetzgeber nicht auf einfachgesetzlicher Ebene aktiv wird, um den Schutz vulnerabler Gruppen im Straßenverkehr auszubauen, ist es aus meiner Sicht wichtig die oben aufgeworfene Fragestellung in der Rechtswissenschaft ergebnisoffen zu diskutieren. Denn die Abschreckung ist und bleibt eine Aufgabe des Strafrechts in unserer Gesellschaft, für die Durchsetzung der gemeinsamen Regeln und des gemeinsamen Konsenses.

Es verbleibt die Hoffnung auf eine bessere Infrastruktur. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen des Opfers.

 

 

von Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal

 

Der folgende Text ist die Zusammenfassung eines Vortrages, den der Verfasser zusammen mit Stephan Hanel (Geschäftsführer der Fa. ViMo GmbH, Fürstenau) beim digitalen „CAMPUS Lymphologicum 2022“ am 5.3.2022 gehalten hat. Der Text wurde auch in der Zeitschrift „Lympholife spezial“ des Lymphologicum e.V. im Februar 2022 veröffentlicht.

 

Das 2017 in Kraft getretene Heilmittelversorgungsgesetz (HHVG) kam zunächst mit einer guten Nachricht um die Ecke: Für Ärztinnen und Ärzte wurde noch einmal festgeschrieben, dass die Verordnung von Hilfsmitteln nicht der Budgetierung unterliegt. Diese Regelung gilt also auch bei der Verordnung von Medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS) – sowohl rundgestrickt als auch flachgestrickt.

Dennoch bleibt es bei der Verordnung von Hilfsmitteln für Ärztinnen und Ärzte wie verzwickt: Unabhängig von der Budgetfreiheit ist nach wie vor das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Auf der anderen Seite besteht die Pflicht, die Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen. Und auf beiden Seiten bleiben Haftungsfallen: Entweder droht eine Schmerzensgeldforderung wegen Behandlungsfehlern oder eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der KV.

Aber es gibt Wege aus dieser Zwickmühle für die Ärzteschaft: Entscheidend sind in den meisten Fällen eine vollständige Aufklärung über Behandlungsalternativen und deren Kosten zum einen und eine gute Dokumentation von Praxisbesonderheiten zum anderen.

Der Konflikt

Es geht für Vertragsärzt/innen immer darum, indikationsgerecht und gleichzeitig wirtschaftlich zu verordnen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V lautet wie folgt:

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.

Bei der Verordnungspraxis im lymphologischen Bereich gerät wohl so ziemlich jede Ärztin / jeder Arzt an Grenzen: Für viele Hilfsmittel setzen die Krankenkassen Festbeträge fest, mit denen aber eine wirklich notwendige, den fachmedizinischen Standards entsprechende Versorgung kaum bis überhaupt nicht möglich ist.

Zudem dürfte eine nur „ausreichende“ Versorgung oftmals dem Selbstverständnis der Ärzteschaft widersprechen: Immerhin soll nach dem hippokratischen Eid bzw. dem Genfer (Ärzte-)Gelöbnis die Erhaltung u. Wiederherstellung der Gesundheit der Patienten oberstes Gebot des ärztlichen Handelns sein.

Wenn mit einer nur ausreichenden und unbedingt notwendigen Versorgung im Sinne des § 12 SGB V die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit aus fachmedizinischer Sicht kaum gewährleistet werden kann, mit einer hochwertigeren, dann jedoch nicht mehr wirtschaftlichen Versorgung aber schon, wie habe ich mich dann als Ärztin / als Arzt zu verhalten?

Wege aus der Behandlungsfehlerhaftung

Es mehren sich die Fälle vor Gericht, in denen Patientinnen oder Angehörige ihren Ärzten vorhalten, sie nicht fachmedizinisch korrekt behandelt zu haben. Das betrifft auch Fälle, in denen die Behauptung aufgestellt wird, man sei nicht über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Hätte man gewusst, dass es auch eine – wenn auch mit eigenen Kosten verbundene – bessere Versorgungsmöglichkeit gab, wäre man diesen Weg gegangen und hätte sich dank der besseren Versorgung gesundheitliches Leiden erspart. Für diese zusätzlichen Leiden wird Schmerzensgeld von der Ärztin / vom Arzt oder auch vom Sanitätshaus gefordert.

Auf Behandlerseite reicht es nach ständiger Rechtsprechung und auch nach den gesetzlichen Vorgaben zum Behandlungsvertrag in §§ 630a ff. BGB haftungsrechtlich nicht aus, sich darauf zu berufen, man habe doch das Wirtschaftlichkeitsgebot einhalten müssen und nur die von der Krankenkasse vorgegebene Verordnungspraxis eingehalten. Es kommt darauf an, die Patientin vor der Verordnung von Hilfsmitteln korrekt über die verschiedenen Möglichkeiten, deren unterschiedliche Wirkung und deren Kosten in Kenntnis zu setzen. Warum ist das so?

Das Gesetz legt den Behandelnden auf, vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme die Einwilligung der Patientin einzuholen. Ohne wirksame Einwilligung ist die Maßnahme rechtswidrig. Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung ist eine vorhergehende ordnungsgemäße Aufklärung. Dazu gehört die Information über die wesentlichen Umstände,

„insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.“

So steht es in § 630e Abs.1 BGB. Der Absatz geht aber noch weiter:

„Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“

Konservative Maßnahmen sind in gleichem Maße aufklärungspflichtig wie operative Eingriffe. Die Verordnung einer Rundstrickversorgung kann im Einzelfall also nur dann rechtmäßig sein, wenn auch ein Hinweis auf die alternative Möglichkeit einer Flachstrickversorgung erfolgt ist.

Ein weiterer springender Punkt für die Behandelnden: Was sage ich der Patientin zu den Kosten, von denen ich weiß, dass die gesetzliche Krankenversicherung sie nicht vollständig übernimmt? Auch hier hilft ein Blick ins Gesetz. § 630c Abs.3 BGB sagt dazu:

„Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren.“

An dieser Stelle ist die Aufgabenverteilung zwischen verordnender Arztpraxis und versorgendem Sanitätshaus entscheidend: Die Sanitätshäuser schließen mit den Krankenkassen Verträge über die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 127 SGB V ab. Darin ist regelmäßig die Verpflichtung der Sanitätshäuser enthalten, den Kundinnen unterschiedliche Versorgungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sprich: die Kassenleistung ohne Zuzahlung zum einen, die zuzahlungspflichtigen Möglichkeiten zum anderen.

Dies entbindet die Ärztinnen und Ärzte aber nicht davon, die Patientinnen schon im Vorfeld bei der Verordnung von MKS zumindest in groben Zügen über Alternativen und Kosten zu informieren. Wird z.B. eine Flachstrickversorgung empfohlen und Kompressionsklasse, Länge, Maß und Aufbau konkret verordnet, muss darauf hingewiesen werden, dass es zu einem eigenen Kostenanteil kommen kann.

Werden solche Information von den Behandelnden ordnungsgemäß dokumentiert, ist der Aufklärungspflicht genüge getan und das Haftungsrisiko minimiert. Die Einzelheiten zur Kostentragungspflicht klärt das Sanitätshaus mit der Krankenkasse ab.

Wege aus der Wirtschaftlichkeitsprüfung

Die allermeisten Ärztinnen und Ärzte werden es längst wissen und evtl. schon am eigenen Leib bzw. in der eigenen Praxis erfahren haben: Die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots unterliegt einer gesetzlich vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsprüfung (§§ 106 und 106b SGB V).

Bei diesem Begriff schrillen regelmäßig die Alarmglocken: Bloß kein Regress! Tatsächlich ist ein Regress im Sinne einer Nachforderung oder Kürzung nur als Maßnahme für „Wiederholungstäter“ vorgesehen. Bei erstmaliger Auffälligkeit bei statistischen Prüfungen erfolgt zunächst eine individuelle Beratung, bevor weitere Maßnahmen festgesetzt werden. Und: Eine festgesetzte Maßnahme ist nach 5 Jahren verjährt. Das heißt: Ein Arzt, bei dem vor mehr als 5 Jahren eine Maßnahme festgesetzt wurde, gilt bei erneuter Auffälligkeit wieder als „erstmalig auffällig“ und erhält zunächst erneut eine „Beratung vor weiteren Maßnahmen“.

Zudem ist dem Schreckgespenst des Regresses auch gesetzlich vor einigen Jahren ein wenig die Drohkulisse genommen worden: Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurde zum 1. Januar 2017 die bis dahin als Regelprüfmethode vorgesehene Richtgrößenprüfung (Auffälligkeitsprüfung) abgelöst und die Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung insgesamt neu strukturiert.
Die Prüfung erfolgt nun anhand von zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen sowie den Kassenärztlichen Vereinigungen getroffenen Prüfvereinbarungen. Bei der Ausgestaltung der Prüfungen einschließlich des Prüfgegenstandes sind die regionalen Vertragspartner grundsätzlich frei. Die Prüfmethode kann deshalb regional variieren. Deshalb sind zur konkreten Information die jeweiligen Prüfvereinbarungen zu berücksichtigen.

Und hier kommen wir zum entscheidenden Punkt: Praxen mit lymphologischem Schwerpunkt haben natürlich in genau diesem Bereich ein zum Teil erheblich über dem Fachgruppenschnitt liegendes Verordnungsaufkommen. Das ist eine sogenannte Praxisbesonderheit. Solche Besonderheiten werden im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung anerkannt und berücksichtigt. Wer eine Praxisbesonderheit nachweisen kann, unterliegt keinem Kürzungsrisiko.

In § 13 der niedersächsischen Prüfvereinbarung (Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit – Prüfvereinbarung ab 2017 in der Fassung mit Wirkung ab 31.08.2021 zwischen KVN und GKV) wird der Begriff der Praxisbesonderheiten als objektive Gegebenheiten definiert,

„welche für die Vergleichsgruppe von der Art oder dem Umfang her atypisch sind und kausal einen höheren Behandlungsaufwand und/oder erhöhte Verordnungskosten hervorrufen. Sie sind regelmäßig durch eine bestimmte Patientenstruktur charakterisiert. Wird eine Praxisbesonderheit mit besonderen Kenntnissen oder mit einer besonderen Praxisausstattung begründet, setzt die Anerkennung durch die Prüfungsstelle oder dem Beschwerdeausschuss den Nachweis voraus, dass diese Besonderheiten zu einer entsprechenden Konzentration von Patienten geführt haben, die dieser Besonderheiten bedürfen.“

Und weiter:

„Die Prüfungsstelle oder der Beschwerdeausschuss haben allen Hinweisen auf Praxisbesonderheiten des überprüften Vertragsarztes nachzugehen, soweit diese ihnen aus den Unterlagen oder in sonstiger Weise bekannt sind oder soweit sie vom überprüften Vertragsarzt konkret und nachvollziehbar geltend gemacht werden. Für die geltend gemachten Praxisbesonderheiten trägt der Vertragsarzt die Beweislast.“

Ganz ähnliche Prüfvereinbarungen zwischen KV und GKV-Landesverbänden existieren in allen Bundesländern.

Entscheidende Frage: Wie komme ich meiner Beweislast nach?

Der Nachweis einer besonderen Qualifizierung im Bereich Lymphologie, die eine Konzentration von Patientinnen mit speziellem Versorgungsbedarf mit sich bringt, ist nicht alles.

Wie eingangs schon erwähnt: Es kommt vor allem auf die Dokumentation an. Wichtig sind konkrete und vollständige Aufzeichnungen, anhand derer die Patientenstruktur nachvollziehbar wird. Am einfachsten wird dabei regelmäßig das Vorhalten einer Auflistung der Verordnungen nach ICD10-Codes (Beinvenenthrombose, Lipödem, Lymphödem etc.) sein. Das bedeutet: Die richtige, sorgfältige ICD-Codierung zur passenden Diagnose ist die halbe Miete!

Eine sorgfältige Dokumentation ist also das Mittel der Wahl, um die Prüfungsstelle von einer Praxisbesonderheit der lymphologischen Versorgung zu überzeugen und jeglichen Maßnahmen der Prüfungsstelle zu entgehen.

Fazit und Ausblick

Aus haftungsrechtlicher ist damit festzuhalten: Keine Angst vor einer fachlich hochwertigen lymphologischen Versorgung!

Das sollte auch in Anbetracht der teilweise widriger werdenden Umstände das Motto der näheren Zukunft sowohl für die Ärzteschaft als auch für die Sanitätshäuser sein.

Aus Sicht der Kassen wird es eher in die andere Richtung gehen: Solange der demografische Wandel mit der Berentung der Baby-Boomer-Generation nicht abgeschlossen ist (was noch bis ca. 2050 dauern wird), werden absehbarerweise Kassenleistungen gekürzt bzw. unerträglich niedrige Festpreise durchgedrückt. Patienten werden bereit sein müssen, Eigenanteile zu erbringen. Das wird nicht nur den Bereich der lymphologischen Versorgung betreffen, sondern auch die Bereiche Inkontinenz, Stoma, Einlagen oder Rollatoren.

Trotzdem: Nicht nur zur Haftungsvermeidung gebietet es schon das Streben nach bestmöglicher gesundheitlicher Behandlung wie auch die Würde der Patientinnen und Patienten, auf Alternativen zu einer nur „ausreichenden“ Versorgung hinzuweisen.

Und wer weiß: Bei der Liposuktion bewegt sich dank des öffentlichen Drucks langsam etwas. Warum sollte das mit konsequenter Lobbyarbeit nicht auch in anderen Bereichen der Lymphologie möglich sein?

von Rechtsanwalt Henning J. Bahr

In der vergangenen Woche kommentierte Rechtsanwalt Burkhard Wulftange einen Vorfall im Südkreis, der inzwischen auch die Neue Osnabrücker Zeitung beschäftigt hat: Ein Montainbiker ist durch einen quer zwischen zwei Bäumen gespannten Stacheldraht vom Fahrrad gerissen und verletzt worden, nur durch Glück ist nichts schlimmeres geschehen.

Wo und wie ist Radfahren im Wald erlaubt?

Grundsätzlich besteht gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) ein allgemeines Recht für jeden, den Wald zur Erholung zu betreten. Auch der Sport – und somit auch solcher mit einem Mountainbike – dient der Erholung.

Dass freies Betreten nicht auch zugleich uneingeschränktes Fahren bedeutet, ergibt sich direkt aus dem folgenden Satz 2:

Das Radfahren, das Fahren mit Krankenfahrstühlen und das Reiten im Walde ist nur auf Straßen und Wegen gestattet.

Die näheren Regelungen ergeben sich dann aus dem Landesrecht. Im folgenden sollen zunächst Niedersachsen genauer betrachtet werden.

Dass es überhaupt Beschränkungen für die private, freizeitliche Nutzung des Waldes gibt, hat das Bundesverfassungsgericht als zulässig eingestuft. Mit der Entscheidung „Reiten im Walde“ vom 6.6.1989 (Aktenzeichen: 1 BvR 921/85, veröffentlicht in der amtlichen Sammlung BVerfGE Bd. 80, ab S. 137). Dort ist es nicht als verfassungswidrig angesehen worden, dass das Reiten im Wald auf Reitwege beschränkt zugelassen ist. Gleiches wird man auch für das Radfahren annehmen dürfen.

Die Rechtslage in Niedersachsen

Für das Niedersächsische Gesetz über den Wald und die Landschaftsordnung (NWaldLG) gehört der Wald zur freien Landschaft. Diese darf jeder Mensch gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 NWaldLG betreten und sich dort erholen, wobei ausdrücklich zwischen Begehen (§ 24 NWaldLG) und Fahren (§ 25 NWaldLG) unterschieden wird und das Reiten mit § 26 NWaldLG einer eigenen Regelung unterliegt.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 NWaldLG ist

Das Fahren mit Fahrrädern ohne Motorkraft (…) auf tatsächlich öffentlichen Wegen gestattet.

Dies umfasst jedenfalls alle Arten muskelbetriebener Fahrräder, also insbesondere auch Mountainbikes. Ob E-Bikes bzw. Pedelecs nach dieser Vorschrift zugelassen sind oder auf die Regelung zu Kraftfahrzeugen zu verweisen sind, ist noch nicht gerichtlich geklärt. Kraftfahrzeuge dürfen nach § 25 Abs. 2 NWaldG nur auf sog. Fahrwegen genutzt werden, während Fahrräder (ohne Motorkraft) im Wald gerade auch Radwegen zugewiesen werden. Es spricht daher einiges dafür, dass E-Bikes und Pedelecs mit Hilfsmotor, die hauptsächlich durch die Pedale vorangetrieben werden, auch für das Fahren im Wald als Fahrräder anzusehen, solange sie straßenverkehrsrechtlich zur Nutzung von Radwegen geeignet sind.

§ 25 Abs. 1 Satz 2 erläutert weiter:

Tatsächlich öffentliche Wege sind private Straßen und Wege, die mit Zustimmung oder Duldung der Grundeigentümerin, des Grundeigentümers oder der sonstigen berechtigten Person tatsächlich für den öffentlichen Verkehr genutzt werden (…)

Als Beispiele nennt das Gesetz:

  • Wanderwege
  • Radwege
  • Fahrwege (befestigte oder naturfeste Wirtschaftswege, die von zweispurigen nicht geländegängigen Kraftfahrzeugen ganzjährig befahren werden können)
  • Reitwege
  • Freizeitwege (durch die Gemeinde in einem Wegeplan bestimmte Wege)

Nach der Rechtsprechung  – Nds. Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 30.6.2015 – 4 LB 63/14 – kann die Zustimmung auch in faktischer Weise, zB. durch die Errichtung eines Zaunes, entzogen werden, wenn keine Pflicht zur Einräumung der Wegenutzung besteht. Hiergegen kann die zuständige Waldbehörde einschreiten.

Der Eigentümer oder sonstige Berechtigte muss insbesondere keine unzumutbaren Nutzungen hinnehmen, insbesondere nicht solche,

durch die die Natur als Lebensraum wild lebender Tiere und wild wachsender Pflanzen oder die Grundbesitzenden geschädigt, gefährdet oder erheblich belästigt werden. Hierzu können beispielsweise Downhill abseits tatsächlich öffentlicher Wege, extreme sowie objektbezogene Formen des Geo-Caching sowie insbesondere auch Gotcha-Spiele zählen. Hierunter fallen neben den Veranstaltungen oder Aktivitäten selbst auch die Nutzung von Flächen für Maßnahmen der technischen Abwicklung dieser (z.B. Anbringen von Tafeln oder Markierungen, Aufstellen von Geräten)

  • Ausführungsbestimmungen zum NWaldLG vom 05.11.2016, Nds. MBl. Nr. 43 vom 16.11.2016, S. 1094

Die Nutzung des Waldes und der freien Landschaft unterliegen aber grundsätzlich dem in § 29 NWaldLG geregelten Rücksichtnahmegebot. Daher erstreckt sich die Rücksichtnahme einerseits auf den Wald und das Grundstück selbst, andererseits aber auch auf andere Waldnutzungen. Gem. § 29 Satz 2 NWaldLG müssen Radfahrerinnen und Radfahrer (ebenso wie Reiterinnen und Reiter) besondere Rücksicht auf andere Personen nehmen.

Nach den Ausführungsbestimmungen nicht unter die tatsächlich öffentlichen Wege fallen

  • Fuß- und Pirschpfade
  • Holzrückelinien
  • Brandschneisen
  • Fahrspuren zur vorübergehenden Holzabfuhr,
  • Gestelle/Abteilungslinien, -Grabenränder,
  • Feld- und Wiesenraine,
  • durch Skiloipen verursachte Spuren nach Wegtauen des Schnees

Auf diesen ist das Fahren mit Fahrrädern nicht von der Erlaubnis des § 25 Abs. 1 NWaldLG erfasst.

Was bedeutet das für das Mountainbiking?

Aus dem vorgenannten ergibt sich, dass Mountainbiking nur dort erfolgen darf, wo es wenigstens einen tatsächlichen Weg gibt. Dieser wäre auch bei einer vorbereiteten Downhill-Strecke vorhanden, aber auch bei Wegen, die durchschnittliche Fahrradfahrer:innen eher nicht befahren, sondern allein als Wanderstrecke auffassen würden. Der Weg muss aber nur tatsächlich vorhanden, nicht unbedingt künstlich angelegt, darf aber auch nicht abgesperrt oder von einem erkennbaren Verbot betroffen sein.

Gerade bei den tatsächlich öffentlichen Wegen muss beim Mountainbiking aber besondere Rücksicht auf Fußgänger:innen genommen werden. Lediglich bei festgelegten Radwegen liegt der Nutzungsvorrang bei Radfahrerinnen und Radfahrern.

Andererseits ist aus den vorgenannten Ausnahmen erkennbar, dass ein Weg dennoch vor allem der Fortbewegung, nicht anderen Zwecken wie Jagd, Forstwirtschaft und Brandschutz dienen muss. Downhill querfeldein, also dort entlang, wo man mit dem (geeigneten) Rad mehr oder weniger zufällig fahren kann, ist vom allgemeinen Erholungsrecht nicht umfasst.

Darf der Waldeigentümer selbst die Nutzung des Waldes verhindern?

Dass etwas nicht zulässig ist, sagt aber nichts darüber aus, dass es auf solchen „wilden“ Strecken zulässig wäre, deren Benutzung durch Drahtfallen oder ähnlich gefährliches Verhalten zu verhindern! Was Menschen gefährdet, ist schon aus anderen Gründen meistens verboten!

Welche (weiteren) Möglichkeiten der Beschränkung der Waldnutzung generell bestehend und wer für welche Schäden zu haften hat, betrachten wir im nächsten Teil der Serie „Mountainbike im Wald“.

von Rechtsanwalt Burkhard Wulftange

Nicht nur auf den öffentlichen Straßen der Stadt Osnabrück drohen Radfahrerinnen und Radfahrer tödliche Gefahren. Auch abseits der von Kraftfahrzeugen genutzten Straßen und Wege sind Radler:innen nicht sicher, wie sich aus einem jüngst ereigneten Zwischenfall im Südkreis der Stadt Osnabrück gezeigt hat:

Ein Mountainbiker war auf einem Fahrradtrail im Dörenberg unterwegs. Auf seinem Weg den Berg hinab passierte er einen kleinen Sprung über eine Baumwurzel. Mitten im Sprung wurde er von Stacheldraht gestoppt, der etwa auf Brusthöhe zwischen zwei Bäumen gespannt war. Nur durch allergrößtes Glück ist der Radler am Leben und von schlimmsten Verletzungen verschont geblieben.

Ganz offensichtlich ist der Stacheldraht genau zu diesem Zweck dort angebracht worden. Eine andere rationale Erklärung für das Vorhandensein eines Stacheldrahtes ist an besagter Stelle nicht im Ansatz zu erkennen. Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle die Tatsache, dass sich der Tatort auf einem nicht legalen Fahrradtrail befindet. Dieser Umstand legt indes erst recht die Vermutung einer absichtlich installierten Drahtfalle nahe, mit dem Zweck, verbotswidrig agierende Radler zu „erziehen“.

Dabei übersehen der/die Täter offenbar die Tragweite ihrer „Erziehungsmaßnahme“ nicht einmal im Ansatz. So verständlich der Ärger von Waldbesitzern bzw. Waldnutzern auch sein mag, wenn Mountainbiker auf nicht für sie genehmigten Strecken im Wald unterwegs sind, ein Kavaliersdelikt ist die Installation derartiger Drahtfallen keinesfalls. Tatsächlich dürfte durch eine solche Stacheldrahtfalle der Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung immer dann erfüllt sein, wenn ein Dritter, egal ob zu Fuß oder mit dem Rad durch die Stacheldrahtfalle körperlichen Schaden nimmt. Der Eintritt eines ganz erheblichen körperlichen Schadens ist dabei absolut im Bereich des Möglichen und damit auch Erwartbaren, wie das Urteil des BGH aus dem Jahre 2020 zeigt. In jenem Fall ist ein Radfahrer aufgrund eines über einen Feldweg gespannten Drahtes gestürzt. Infolge seiner schwerwiegenden Verletzungen ist der Mann seither querschnittsgelähmt (vgl. Urteile vom 23. April 2020 – III ZR 250/17 und III ZR 251/17). Das Gericht erteilte einem erheblichen Mitverschulden des Radfahrers eine Absage:

Ein Radfahrer ist nicht verpflichtet, lückenlos den unmittelbar vor seinem Rad liegenden Bereich noch gezielt im Auge zu behalten und auf Hindernisse zu überprüfen, die – bei an sich übersichtlicher Lage – aus größerer Entfernung noch nicht zu erkennen waren (OLG Hamm NJW-RR 2010, 33, 35). Das gilt insbesondere für einen über einen Wald- oder Wiesenweg gespannten Draht (vgl. OLG Köln, VersR 1998, 860).

Dieses Beispiel zeigt, dass ein jeder, der solche Drahtfallen installiert, schwerste Verletzungen Dritter bis hin zur möglichen Todesfolge billigend in Kauf nimmt. Wenn man zudem die Heimtücke bedenkt, mit der die Stacheldrahtfalle mitten im Sprung in etwa auf Brusthöhe installiert wurde, steht allein durch die Installation einer solchen Drahtfalle der Vorwurf eines versuchten Mordes im Raum.

Dabei kann sich der/die Täter auch nicht darauf berufen, dass der Radler dort gar nicht unterwegs sein durfte; denn jedenfalls im Rahmen der strafrechtlichen Bewertung ist der Umstand der verbotswidrigen Nutzung des Waldes durch den Radler ohne Belang, da sich daraus weder Notwehr noch entschuldigender Notstand als Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründe zu Gunsten des Täters ergeben können.

Wer also derartige Drahtfallen installiert, setzt sich der Strafbarkeit wegen versuchten Mordes aus, und zwar auch dann, wenn kein Radler in die Falle tappt. Grundsätzlich droht dem Täter dabei auch bei einem Mordversuch eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Wenn einem Fallensteller das Leben und die Gesundheit anderer auch gleichgültig ist, sollte er sich doch schon aus eigenem Interesse fragen, ob es nicht sinnvollere und weniger risikoreiche Alternativen gibt, dem Problem der verbotswidrigen Wald- und Wegnutzung zu begegnen.